"Suchet das Angesicht des Herrn"
Vortrag von Jelena Vasilj zu italienischen Pilgern am 2. Januar l998 von Alberto Bonifacio.
"Meine Erfahrung ist anders als jene der andern Seher. Ich habe keine Visionen wie sie, aber bei meiner Erfahrung kann man von einer gewissen Form von Visionen sprechen. Mehr als alles andere ist es eine starke Gegenwart Mariens im Gebet. Wir sagen, dass es eine Erfahrung des Herzens ist, weil es nicht nur eine Idee, ein Gedanke ist, der in unserm Geist gegenwärtig ist, sondern wirklich eine Person. Es ist wie bei einer Begegnung, da muss auch immer das Herz dabei sein, sonst bleibt alles oberflächlich. Das Herz wird wirklich mit einbezogen und darum reden wir von einer Sprache des Herzens. Diese Erfahrung machte ich anderthalb Jahre nach Beginn der Erscheinungen, zuerst mit der Erscheinung des Engels, dann mit Maria. Heute sehe ich das wirklich als eine Vorbereitung für das, was nachher geschah, auch deshalb, weil mir die ersten Worte des Engels sehr bedeutungsvoll vorkamen. Er fragte zuerst nach der Beichte, also um die Reinheit des Herzens, um sehen zu können.
Ich denke, der erste Schritt zu einem christlichen Leben muss die Versöhnung, die Bitte um Vergebung sein. Dann wird uns Maria auch beten lehren, wenn wir vor Gott um Vergebung und Erbarmen gebittet haben. Das ist der erste Schritt zu unserer Umkehr. Nach etwa 14 Tagen spürte ich Maria und auch manchmal Jesus. Ein anderes Mädchen hat sich mir im Gebet angeschlossen. Es war im März l983. Sie heisst Marjana. Zu Beginn sagte sie, sie kenne nur die Gegenwart Mariens. Aber im Oktober desselben Jahres begann auch sie die Botschaften zu empfangen. Mehr oder weniger war es unsere Aufgabe, Erleuchtungen im Gebet zu erhalten und weiter zu geben, vor allem an die Gebetsgruppe, die wir hier in der Pfarrei auf Wunsch der Gottesmutter zu versammeln hatten.
Wir waren ungefähr 6o junge Leute und versuchten zusammen die Botschaften, die Maria natürlich den Sehern gab, zu vertiefen und zu leben. Es war ein Weg des Gebets. Maria setzt immer das Gebet an die erste Stelle, weil unser christliches Leben seine Kraft aus dieser Begegnung schöpft. Daher ist es sehr schwierig, von geistlichem Leben zu sprechen, wenn keine Begegnung mit Gott stattfindet, ... denn ohne Ihn können wir kaum etwas tun, nur mit der Gnade vermögen wir zu wirken.
Warum will Maria uns wieder zum Beten bringen? Weil das Gebet zu einer Quelle der Gnade auf unserem Weg wird, weil es uns wieder zu den Sakramenten hinführt. Nur durch die Gnade werden wir vollkommen. Daher werden dann die Beichte und vor allem die Eucharistie die Mitte unsres christlichen Lebens. Maria hat von den verschiedenen Formen des Gebets gesprochen, besonders viel vom Rosenkranz. Dieses Gebet wird immer wieder von ihr empfohlen, auch nach so vielen Jahren.
Mir scheint, dass die Madonna das tut, weil der Rosenkranz eine grosse Wohltat für unsere Spiritualität ist. Wenn wir berufen sind, Christus nachzuahmen, sind wir auch berufen, zu werden wie er. Dazu gibt es keine bessere Hilfe als der Rosenkranz, der wie eine Mini-Katechese unsres Glaubens ist. Alle Geheimnisse werden neu in Erinnerung gerufen und neu belebt.
Das Beten des Rosenkranzes hilft uns auch, zu werden wie Maria, die - so sagt es der Evangelist - "alles in ihrem Herzen bewahrte und darüber nachdachte" (Lk 2,19 und 2,51). So denke ich, sind auch wir in der gleichen Weise berufen, diese Geheimnisse in unserem Herzen zu bewahren und darüber nachzusinnen. Christus muss immer das Zentrum unseres Betens sein. Maria hat gesagt, dass wir zwei Dinge suchen müssen: vor allem das Antlitz des Herrn. Oftmals suchen wir uns selbst. Wir wollen alles Mögliche, auch gute und gerechte Dinge, denken aber nicht daran, dass neben uns Maria steht und uns bittet, die Augen zu erheben und Christus anzuschauen. So wird unser Beten christozentrisch.
Als zweiten Schritt müssen wir den Willen des Herrn suchen. Dann stellen wir wie selbstverständlich die Frage: Was willst Du von mir, Herr? Ausser dem Rosenkranzgebet beharrt Maria sehr auf dem Stillschweigen, das vor allem ein Hinhören sein soll und sicher nicht Passivität, sondern vielmehr die Fähigkeit, sich dem Nächsten selbst als Geschenk zu geben, das Ohr hinzuhalten und zuzuhören. Es ist zwar eine schwierige Sache mit der menschlichen Erfahrung, weil wir gern selbst im Mittelpunkt stehen. Aber ich glaube, dass das Gebet des Hinhörens uns anbeten lehrt, um verstehen zu können, wer der wirkliche Urheber des Lebens ist. Schliesslich die Buße: sie begleitet uns immer auf diesem Weg des Gebets und wird auf diese Weise auch Gebet des Körpers. Buße kommt in der modernen Terminologie kaum mehr vor. Wir sind nicht mehr gewöhnt, Buße zu tun, weil wir glauben, schon genug zu leiden. Jedoch wäre gerade bei geistiger Faulheit Buße am Platz, um uns aufzurütteln. Die Madonna hält viel vom Fasten, und zwar bei Brot und Wasser. Ich denke, dass auch dies eine große Bedeutung hat. Leben von diesem materiellen Brot wird in gewisser Hinsicht ein Warten auf jenes wahre Brot, das wir in der Eucharistie empfangen. Das scheint mir eine treffende eucharistische Interpretation dieses Fastens.
Fragen und Antworten
Frage: Da die Madonna dich für viele Jahre als Werkzeug der Gebetsgruppe gebrauchte, hättest du vielleicht Empfehlungen für unsere Gebetsgruppen?
Jelena: Ich habe wirklich noch nie von dem, was ich erlebt habe, ein Schema ausgearbeitet. Mir scheint aber, dass die Gebetsgruppe eine fast unentbehrliche Erfahrung ist für geistliches Wachstum. Es ist nicht möglich, einen Weg allein mit Gott zu gehen. Gott ruft uns zu einer Gemeinschaft mit andern Menschen, damit wir untereinander kommunizieren; deswegen sind wir gerufen, in einer Gebetsgruppe mitzutun. Das kann die Familie sein. Überhaupt müsste die Familie die erste Gebetsgruppe sein, wo uns spirituelle Erfahrung geschenkt wird. Dann auf der Pfarreiebene, weil die Pfarrei unsere unmittelbare Kirche ist und in der Pfarrei auch verschiedene Gruppen sind. Ich spreche nur von der Notwendigkeit, aber die Gestalt hängt von der Spiritualität ab, die ihr habt. Der Rosenkranz ist immer gut, ebenso das freie Beten. Das Lesen der Bibel ist wichtig, denn unser Beten darf nicht willkürlich sein, sondern muss einen bestimmten Inhalt haben, der uns geoffenbart wurde, nicht wie in den östlichen Religionen, wo der Geist immer frei schweifen kann. Wir müssen uns an das Evangelium halten. Wir müssen aber auch Zeit haben, um unsere Erfahrungen auszutauschen und uns zu ermutigen auf dem geistlichen Weg, der eine Kommunion mit Christus ist, aber auch eine wahre Kommunion unter uns.
Frage: Hast du auch jetzt diese Visionen des Herzens?
Jelena: Sie sind nicht mehr so häufig wie am Anfang, aber ich habe sie noch. Gefragt über die Wahl der Studien (zuerst in Steubenville, dann Wien und jetzt in Rom) sagt sie, dass es schön ist, das Verlangen nach Gott auf alle Ebenen auszudehnen. Es hat mir Freude gemacht, diese geistliche Erfahrung auf das konkrete Leben zu übertragen und damit auch eine Suche nach Gott auf der Ebene des Intellekts. Der Intellekt ist integrierender Teil unserer menschlichen Person. Man könnte sogar sagen: wenn ihr einen Weg beginnt, sucht euch ein wenig dafür zu interessieren, was das Lehramt der Kirche sagt, weil wir jemanden nötig haben, der uns führt. Wir genügen uns nicht selbst, der Herr wollte uns nicht so haben. Es ist offenkundig, Er wollte eine Kirche, eine Hierarchie, einen Heiligen Vater.
Frage: Hast du nie daran gedacht zu heiraten?
Jelena: Manchmal schon. Auf die Frage wegen ihrer Schwierigkeit mit dem Dialog in der Gruppe, sagte sie, dass auch in Medjugorje Schwierigkeiten vorkamen mit einer grossen Gruppe von 6o Personen. Um zu einem Dialog zu kommen, teilten wir uns in Grüppchen auf. Gemeinsam brachten wir dann die Erfahrungen aller Gruppen ein.
Frage: Ist es gut, sie allein gehen zu lassen in einer Gruppe?
Jelena: Nein. Sie sind Priester, geistliche Führer sind sehr, sehr wertvoll. Die Leute haben es nötig, geführt zu werden, wenn auch in dieser Welt alle "Freiheit und Unabhängigkeit" schreien. Fehlen die Führer, hängen wir uns an viele falsche Dinge. Wir brauchen jemanden, der uns vorwärts ruft, vor allem die Jugend. Es ist sehr wertvoll, eine Person zu haben, der es gelingt, dir ein wenig Licht anzuzünden, wenn du im Dunkeln bist. Ich sage aber nicht, dass er für dich gehen muss, das wäre negativ. Die Madonna in Medjugorje hat immer geistliche Berater für die Gruppen gewünscht.
Quellennachweis: Eco di Maria nr. 139