Natürliche, parapsychologische und übernatürliche Erscheinungen
Dr. Pater Ivan Dugandzic, Franziskanerpater
Wenn man von der Tatsache ausgeht, dass unsere menschliche Begrenztheit zwischen der Sphäre des Natürlichen, des Parapsychologischen und des Übernatürlichen für Gott kein Hindernis ist, und daß Gott in jedem guten Werk, das der Mensch vollbringt,handelt, so bemerkt K.Rahner, daß die Aussage "diese Vision kommt von Gott" für sich genommen unbestimmt bleibt und mehrere Bedeutungen zuläßt. Weil der Mensch hinsichtlich seines Heils die Gnade Gottes, diese persönliche Anregung selbst in einem Ereignis, welches sich ganz natürlich erklären läßt, finden kann, so könnte man "als von Gott gegeben und als Gnade" selbst eine Vision bezeichnen, die man natürlich erklären könnte, vorausgesetzt, daß sie in den Grenzen des Glaubens und der christlichen Moral bleibt, nicht die geistliche Gesundheit des Sehers beeinträchtigt, sondern ihn im Gegenteil moralisch und geistlich aufbaut, selbst wenn diese Vision direkt und natürlich im psychischen Mechanismus verwurzelt ist."(11)
Vom theologischen Blickpunkt aus gibt es kein Hindernis, daß Gott sich Möglichkeiten bedient, die ganz und gar dem Menschen natürlich sind, um zu seinem Ziel, dem Heil des Menschen zu gelangen. Es ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, auf die Frage zu antworten, warum Gott immer außergewöhnliche Mittel in den Dingen benutzt, die er auch über die normalen menschlichen Kapazitäten und Möglichkeiten erreichen könnte. Der deutsche Philosoph Robert Spaemann kritisiert den Ansatzpunkt an die geistliche Wirklichkeit der modernen experimentalen Wissenschaften auf grund der "Homogenisierung der Erfahrungen", d.h. des Versuchs, jede Erfahrung in einen vorbereiteten, experimentellen Rahmen einzugliedern. Andere sprechen von Verminderung, indem sie am selben Phänomen Bezug nehmen, besonders in der modernen Psychologie. Sie gebrauchen den Ausdruck "Psychologismus", durch welchen das Geistliche auf das Psychologische reduziert wird und dann zu einem Mechanismus, oder einer Hydraulik eines psychischen Apparates, um dann als reell empfangen zu werden... Nur wenn man den Psychologismus hinter sich läßt, wird es möglich, das Geistliche und vor allem das Religiöse im Menschen zu beobachten und frei zu beurteilen."(12)
In der Begegnung mit der Tendenz, alle parapsychologischen Phänomene als negativ einzuschätzen, fragt sich K. Rahner, warum man nicht die natürlichen, parapsychologischen Fähigkeiten einer religiösen Person, wie z.B. die Telepathie, das Sehen, die Psychometrie, wie alle anderen "normalen" Fähigkeiten einschätzen könnte, hin zu den Objekten der Naturreligion und so eine Motivation für die religiösen Handlungen würden und warum diese Handlungen nicht als "von Gott erfüllt und als Gnade" eingestuft werden?"(13).
So viele wichtige Ansätze für die richtige Einschätzung einer Vision im eigentlichen Sinn, d.h. welche ihren Ursprung in einer speziellen Intervention Gottes hat. Solch eine Vision, die regelmäßig von einem von allen erkennbaren Zeichen begleitet wird, ist also nicht die einzige authentische Vision. Unter diesem Aspekt stellt sich die Frage: "Warum wäre die kirchliche Anerkennung einer Vision, welche durch die Feststellung begrenzt bliebe, daß diese Vision durch ihren Inhalt und ihren Einfluss auf die Seher und die anderen, nur positiv sei und in diesem Sinne "von Gott komme", nicht in Betracht zu ziehen oder daß sie nur ein rechtmäßiges Echo einer wirklichen, mystischen Erfahrung sei, welche den Normen des Glaubens und des Verstandes entspräche, ohne dass in beiden Fällen die Kirche notwendigerweise ein wirklich wunderbares Eingreifen Gottes vermutet?" (14)
Deshalb gibt es auch noch keinen theologischen Grund, einer Vision jegliche Möglichkeit als von Gott kommend abzusprechen, wenn diese nicht von einem wunderbaren Zeichen begleitet ist, welches deutlich die Naturgesetze und den normalen Lauf der Dinge überschreitet und wenn sie vielleicht als natürliches oder parapsychologisches Phänomen erklärt werden kann. Es ist ein schwerwiegender Fehler, zu schnell ein Ganzes ohne Unterscheidung als möglich oder unmöglich zu bezeichnen, als von Gott gegeben, als Falle des Teufels oder als menschliche Illusion. Deshalb verlangen viele Theologen und allen voran K. Rahner, eine gewisse "Milde" den Erfahrungen der Seher gegenüber. Sie schätzen sie ein, daß man sie als "von Gott kommend" annehmen kann, selbst wenn man nicht alle Einzelheiten annehmen kann. Man muß auch die Tatsache bedenken, daß, selbst wenn die Autentizität einer Vision bereits von der Kirche anerkannt wurde (nach äußeren Kriterien), nicht jedes Detail des Inhalts authentifiziert oder aufgedrängt wird. Man kennt Fälle, in denen individuelle, offensichtliche Fehler in der Vision und den Prophetien der Heiligen approbiert wurden. Johannes Torello zitiert drei Typen von diesen Phänomenen und ihren Ursprung:
1. die Möglichkeit, daß eine wirkliche Offenbarung aufgrund von einem Mangel an Klarheit falsch verstanden wird. Im Gefängnis hat Johanna von Orleans eine Stimme gehört, die sagte, daß der "Retter" ihr helfen würde und daß sie die Freiheit mit einem großen Sieg erreichen werde. Dies hat sie als Befreiung aus ihrem Gefängnis interpretiert, was jedoch nicht eingetroffen ist.
2. Es kann geschehen, daß eine wichtige Voraussetzung dem Empfänger der Offenbarung entgeht und daß er die Botschaft im absoluten Sinn versteht. Der heilige Vinzenz Ferrer, inspiriert durch eine seiner Offenbarungen, hat in den letzten 21 Jahren seines Lebens das Ende der Welt angekündigt, wobei er sich selbst auf Wunder stützen konnte.
3. Visionen von geschichtlichen Ereignissen dürfen nicht bis ins kleinste Detail mit dem Verlauf der Geschichte verglichen werden, denn diese Visionen zielen nur auf die Gesamtheit und das Wesentliche. Die Mystiker sind sich nicht einig über die Zahl der Nägel, mit denen Jesus gekreuzigt wurde, aber alle bestätigen, sie gesehen zu haben (hl. Gertrud, hl. Brigitte, hl. Katharina von Siena).(15)
Selbst eine authentische Vision kann Fehler betreffend des Bildes oder der von einer Person überlieferten Botschaft beeinhalten. Es ist möglich, daß sich mit der reellen Botschaft der Seher unbewußt und unwillentlich ihre eigenen Meinungen, Wünsche, Eindrücke anderer, Hoffnungen und Ängste ihrer Umgebung, vermischen. Das alles kann bestimmt sein durch die Umstände des Milieus der Seher, ihrer Epoche, ihrer theologischen Kenntnisse, wie auch durch ihr Temperament, welches ganz besonderen Einfluß auf die Übertragung der erhaltenen Botschaft ausüben kann...(16). K. Rahner bemerkt, daß in Fatima der kleine Francisco nicht immer alles gehört hat, was die Jungfrau zu den Sehern sagte. Manchmal hat er nur die Bewegung ihrer Lippen gesehen. Dies schätzt Rahner jedoch nicht als Gegenargument ein, sondern im Gegenteil als ein gutes Zeichen für die Autentizität der kleinen Seher. (17)
Es ist vielleicht nicht unnötig, eine Parallele mit den neutestamentlichen Berichten über die Erscheinung des Auferstandenen zu ziehen. Markus berichtet in der Erscheinung der Frauen von einem Jüngling, bekleidet mit einem weißen Gewand (Mk 16.5). Matthäus spricht vom "Engel des Herrn" (Mt. 28.2). Lukas von "zwei Männern in leuchtend weißen Kleidern (Lk. 24.4). Johannes nähert sich ihm am meisten und nennt "zwei Engel in weißen Gewändern" (Joh. 20.12). Die Exegese hat verschiedene theologische Absichten der Evangelisten und unterschiedliche Traditionen, aus denen sie geschöpft haben, entdeckt. Aber wir fragen uns, ob das reicht, ob damit alles gesagt ist? Warum erkennen die Zeugen der Auferstehung den Auferstandenen nicht sofort? Warum erscheint er "unter anderen Gestalten" (Mk. 16.12), einmal als Wegbegleiter, "ihre Augen waren wie blind, ihn zu erkennen" (Lk. 24.16), ein anderes Mal als "Geist" (Lk. 24.37) oder als "Gärtner" (Joh. 20.15)? Normalerweise sehen die Jünger Jesus, aber erkennen ihn erst, wenn er zu ihnen spricht (Joh. 21.4), und wenn sie ihn erkannt haben, verschwindet er vor ihren Augen. Deshalb ist selbst hier an der Wurzel der Offenbarung keine genaue Beobachtung, sondern was wichtig ist , sind die Botschaft selbst und der Glaube. Der Auferstandene macht sich erfahrbar, aber es ist offensichtlich, daß er sich nirgends ganz und gar an den Menschen ausliefert.
All dies zeigt uns, daß Erscheinungen und Visionen an sich sehr komplexe und schwer beschreibbare Phänomene sind. Es ist nicht leicht, eine klare Grenze zwischen dem objektiven Ereignis und der subjektieven Erfahrung des Sehers zu ziehen. Gott bleibt unaussprechlich -inefabilis- selbst wenn er sich dem Menschen auf deutliche Art und Weise offenbart. Deshalb, wenn es sich um eine Offenbahrung handelt, bleiben immer viele Fragen und Mängel der Evidenz im Raume stehen. Das kann auch nicht anders sein. Die Aufgabe des Glaubens kann durch kein intellektuelles Wissen ersetzt werden. Der Glaube hat eine entscheidende Rolle in den von Jesus vollbrachten Wundern gespielt, ebenso auch im Erkennen des Auferstandenen und in der Verkündigung der Botschaft der Auferstehung. Darin liegt auch seine Aufgabe in den späteren Visionen und Erscheinungen. Man muß natürlich das Extrem vermeiden und nicht diese Rolle des Glaubens in dem Sinn verstehen, der sooft dem Christentum vorgeworfen wurde, daß "das Wunder das liebste Kind des Glaubens sei". Es handelt sich nicht um einen Glauben, der das Wunder erfindet, sondern um einen Glauben, der uneingeschränkt offen bleibt, das übernatürliche Eingreifen Gottes anzuerkennen und zu empfangen. Der Glaube muss natürlich von gewissen objektiven Zeichen begleitet werden, die das Phänomen bietet, und die ein Teil der Unterscheidungskriterien sind. (18)
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