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An Medjugorje scheiden sich die Geister

Eine Aussage von Papst Franziskus zu Medjugorje im Rahmen einer Pressekonferenz und eine Predigt des Heiligen Vaters zur Frage: "Worin besteht die Christliche Identität?" erregen die Gemüter und lassen die Spekulationen über die Stellung des Vatikans zu Medjugorje ins Kraut schießen.
Zunächst einmal die Fakten: Auf dem Rückflug von Sarajevo, am 06. Juni, sprach die Journalistin Silvije Tomaževic Papst Franziskus auf das Phänomen Medjugorje an. "Guten Abend, Heiligkeit, (...) Da wir aber in Bosnien und Herzegowina sind, besteht auch ein starkes Interesse für das Urteil über das Phänomen von Medjugorje...
Papst Franziskus antwortete wie folgt: "Über das Problem von Medjugorje hat Papst Benedikt XVI. seinerzeit eine Kommission gebildet unter dem Vorsitz von Kardinal Camillo Ruini; es waren auch noch andere Kardinäle, Theologen und Fachleute dabei. Sie haben die Untersuchung durchgeführt, und Kardinal Ruini ist zu mir gekommen und hat mir die Ergebnisse überreicht, nach langer Zeit - nach mehr oder weniger drei bis vier Jahren, ich weiß es nicht genau. Sie haben eine bedeutende Arbeit geleistet. Kardinal Müller [Anmerkung: Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre] hat mir gesagt, er werde in dieser Zeit eine "Feria quarta" [Anmerkung: monatliche Kardinalsversammlung im Vatikan] abhalten; ich glaube, sie hat am letzten Mittwoch des Monats stattgefunden, aber ich bin nicht sicher... [Anm. von P. Lombardi: Tatsächlich hat noch keine diesem Thema gewidmete Feria quarta stattgefunden]. Wir sind nahe daran, Entscheidungen zu treffen. Sie werden dann bekanntgegeben. Für den Augenblick werden nur einige Orientierungen an die Bischöfe gegeben, aber in der Richtung, die eingeschlagen wird. Danke."

Soweit die Aussage des Heiligen Vaters zu Medjugorje. Ohne Übertreibung oder Relativierung des Gesagten, können wir festhalten: Bis jetzt gibt es offiziell nichts Neues zu diesem Thema. Alles was bisher galt, gilt auch weiterhin, bis die von Papst Franziskus angekündigten bevorstehenden "Entscheidungen" offiziell bekannt gegeben werden. Die Erklärung von Zadar, der Jugoslawischen Bischofskonferenz aus dem Jahr 1991, vertritt eine neutrale Haltung. Dort heißt es: "Auf der Basis dieser Untersuchungen kann bis jetzt nicht bestätigt werden, dass es sich hier um übernatürliche Erscheinungen und Offenbarungen handelt." Diese Offenheit wurde sowohl vom Sprecher des Vatikans, Joaquin Navarro-Valls, am 21. August 1996 bestätigt, als auch im Brief der Glaubenskongregation vom 26. Mai 1998 an Bischof Gilbert Aubry. Von beiden Seiten wird auch eindeutig bestätigt, dass private Wallfahrten nach Medjugorje, selbstverständlich auch mit priesterlicher Begleitung, erlaubt sind. Navarro-Valls begründet die Haltung des Vatikan wie folgt: "Man kann den Menschen nicht verbieten, dorthin zu gehen, solange hier keine Irrtümer festgestellt wurden. Da dies nicht der Fall ist, kann also jeder dorthin gehen, wenn er möchte."
Alle bisherigen offiziellen Aussagen der Kirche zu den Erscheinungen von Medjugorje sind nur vorläufig. In kluger Weise behält sich die Kirche aber ausdrücklich das Recht vor, eine endgültige Bewertung der Glaubwürdigkeit der Erscheinungen zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen. Sie verpflichtet die Gläubigen vor diesem Hintergrund alles zu vermeiden, was den Eindruck erwecken könnte, eine solche Entscheidung sei bereits gefallen oder die Echtheit der Erscheinungen stehe bereits fest.
Dies kann den Einzelnen zu einer zwiespältigen Situation führen: Einerseits pilgert er als katholischer Christ nach Medjugorje oder lädt einen der Seher von Medjugorje zu einem Gebetstreffen ein, mit der persönlichen Überzeugung, dass die Erscheinungen und Botschaften von Medjugorje echt sind sowie mit der Erfahrung, dass sie ihn im Glaubensleben vorangebracht haben. Andererseits ist er aber von kirchlicher Seite gehalten, zu betonen, dass eine endgültige Entscheidung der katholischen Kirche über die Erscheinungen noch nicht gefallen ist und dass er diese, ganz gleich wie sie ausfallen mag, vorbehaltlos anerkennen werde. Das schließt auch die Bereitschaft ein, falls nötig, seine private Überzeugung der kirchlichen Entscheidung anzupassen.
Wer treu zur Kirche und zum kirchlichen Lehramt steht, muss diese Bereitschaft haben und sie auch zum Ausdruck bringen.
Wo dies fehlt, können Dinge passieren wie im Jahr 2013, als eine Veranstaltungsreihe mit dem Seher Ivan in den USA abgesagt werden musste, weil zuvor ein Schreiben des päpstlichen Nuntius in Washington, auf Ersuchen des Präfekten der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, an die US-Bischofskonferenz herausgegangen war. Darin hieß es, dass es Katholiken nicht erlaubt ist, an Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen die Glaubwürdigkeit der Erscheinungen von Medjugorje als gegeben angenommen wird. (vgl. kath.net; 08.11.2013)
Hintergrund dieser Entscheidung war, dass für die Veranstaltungen mit dem Slogan geworben worden war: "Sei bei einer Erscheinung live dabei!" Eine solche Werbung täuscht vor, dass bereits eine positive Entscheidung über die Echtheit der Erscheinungen sicher feststehe, was Kardinal Müller zu dieser Reaktion veranlasste.
Wer sich aber klar dazu bekennt, dass eine kirchliche Entscheidung über die Echtheit der Erscheinung noch aussteht, der kann selbstverständlich nach Medjugorje pilgern oder die Seher zu einem Gebetstreffen einladen. Geradeso, wie es Kardinal Schönborn von Wien in den vergangenen Jahren immer wieder getan hat, als er verschiedene Seher zu großen Gebetstreffen in den Wiener Stephansdom einlud und selber daran teilnahm. Ähnlich verhielt sich Kardinal Bergoglio (heute Papst Franziskus), als er noch wenige Wochen vor seiner Wahl zum Papst, das Kommen des Sehers Ivan in seinem Erzbistum genehmigte, der am 6. März 2013 im Luna Park in Buenos Aires stattfand und an dem etwa 10.000 Menschen teilnahmen.
Wie ist vor diesem Hintergrund nun die Predigt des Papstes am 09. Juni 2015, in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses "Domus Sanctae Marthae", einzuordnen?
Der Heilige Vater sprach ausgehend von den Worten der Lesung über die Bedeutung der christlichen Identität, die das Zeugnis für Christus in der Welt sichtbar macht und über den langen Weg, den jeder Einzelne zurücklegen muss, damit diese Identität in seinem Leben stark werde. Der Papst kam im Verlauf der Predigt auch auf gefährliche Wege zu sprechen, die das Zeugnis für Jesus Christus verwässern und die christliche Identität schwächen. Der Heilige Vater erläuterte, es gebe Menschen, die immer etwas Neues in ihrer christlichen Identität bräuchten und dabei vergessen hätten, dass sie als Gesalbte auserwählt worden seien und "die Garantie des Heiligen Geistes haben". So suchten sie danach: "Wo sind die Seher, die uns heute was vom Brief sagen, den uns die Gottesmutter um vier Uhr Nachmittag schickt?". Zum Beispiel so, nicht wahr? Und davon leben sie. Das ist keine christliche Identität. Das letzte Wort Gottes heißt 'Jesus' und nichts mehr!". (Zitat: www.kath.net/news/50873)
Nicht wenige Gläubige fragten sich angesichts dieser kritischen Worte des Papstes: Spricht Papst Franziskus hier vielleicht von Medjugorje und den Medjugorje-Pilgern?
Fakt ist, Papst Franziskus hat weder Medjugorje noch einen anderen Ort oder Seher genannt. Auch die von ihm beschriebenen Punkte wie "Brief" "den uns die Gottesmutter um vier Uhr Nachmittag schickt" passen nicht zu Medjugorje. Beides könnte gut zu einer falschen Prophetin aus Irland passen. Seit einigen Jahren verbreitete eine irische Geschäftsfrau unter dem Pseudonym "Maria Divine Mercy" angebliche Botschaften der Gottesmutter, von Jesus und sogar von Gottvater, die sie im 2-Tage-Rhythmus bekommt und per E-Mail verschickt. Diese falschen Prophetien sind unter dem Titel "Die Warnung" seit einigen Jahren im Umlauf und tatsächlich, vor ihnen kann man nur warnen.
Auch wenn hier die Aussage des Papstes deutlich besser passen würde, bin ich persönlich der Überzeugung, dass der Heilige Vater überhaupt keine spezielle Erscheinung oder Privatoffenbarung meint, sondern vor einer ernsten Gefahr in bestimmten christlichen Kreisen warnen möchte. Es gibt tatsächlich Gläubige, die viel Zeit, Geld und Kraft darauf verwenden, irgendwelchen apokalyptischen Prophetien nachzulaufen oder sich irgendwelche spektakulären Botschaften anzuhören, dabei aber vergessen, die Botschaft des Evangeliums Christi zu leben und ihr Leben immer mehr an dieser wahren frohen Botschaft auszurichten. Es besteht die Gefahr, dass die Neugierde oder auch die Zukunftsangst größer als die Liebe wird und dass der Mensch nicht mehr im Heute lebt, sondern sich mit Hilfe von zweifelhaften Zukunftsprophetien aus der Gegenwart stiehlt und dabei den konkreten täglichen Auftrag zur Liebe vernachlässigt.
Dem Papst ging es nicht um eine Bewertung der Erscheinungen, bei denen ein bestimmter Seher zu einer bestimmten Uhrzeit Botschaften der Muttergottes bekommt. Vielmehr ging es ihm darum aufzuzeigen, wie man leicht falsch damit umgehen kann. Die christliche Identität ist laut Papst Franziskus etwas ganz konkretes, sie besteht in der im Alltag gelebten Liebe zu Gott und zum Nächsten. Sie besteht im Tragen und Ertragen des Ärgernisses des Kreuzes im eigenen Leben. Zu einer solch konkreten, mein alltägliches Leben prägenden, christlichen Identität, die dann auch zum Zeugnis für Christus wird, will uns der Heilige Vater anspornen.
Wenn wir nun einen Blick auf die Botschaften der Gospa werfen, entdecken wir, dass sie ein ganz ähnliches Ziel hat. In den Botschaften von Medjugorje finden wir nichts apokalyptisches, wir finden keine Voraussagen über die Endzeit oder schlimmerer Dinge, die Gott der Welt als Strafe antun wird. Überhaupt nichts von all dem findet sich in den Botschaften von Medjugorje. Daher halten auch nicht wenige "Botschaften-Jäger" die Botschaften von Medjugorje für langweilig und uninteressant. Es gibt nichts Spektakuläres, sondern nur bodenständige Hilfestellungen, um den Glauben im Alltag zu leben und in der Beziehung zu Jesus Christus zu wachsen. Maria leitet uns an, wie wir eine auf das Gebet, die Sakramente der Kirche, die Bibel, den Frieden und die Liebe zu Gott und zum Nächsten gegründete christliche Identität leben und darin stark werden können. Sie ruft uns auf: "Redet nicht so viel über die Botschaften, sondern lebt sie!"
Das Schöne an den Botschaften von Medjugorje ist, dass ich alles als katholischer Christ auch dann leben kann, selbst wenn die Kirche die Erscheinungen einmal als unecht verurteilen würden. Das Gebet, den Rosenkranz, den Besuch der Heiligen Messe, die monatliche Beichte, das tägliche Lesen und Leben der Heiligen Schrift, das Fasten, den Frieden und die Versöhnung wird die Kirche niemals verbieten, sondern sie spornt uns an, genau das umzusetzen und dafür die Hilfe und Fürsprache der Gottesmutter zu erbitten.
Der Autor dieses Artikels unterstellt sich ganz und vorbehaltlos einer endgültigen Entscheidung der katholischen Kirche zu den Erscheinungen in Medjugorje. Er lädt alle ein dafür zu beten, dass die an dieser Entscheidung beteiligten Personen, diese gemäß dem Willen Gottes treffen, damit die Kirche gestärkt und auferbaut werde. Auch hier gilt die Mahnung des heiligen Paulus an die Thessalonicher:
"Betet ohne Unterlass! Löscht den Geist nicht aus!
Verachtet prophetisches Reden nicht! Prüft alles und behaltet das Gute!
Meidet das Böse in jeder Gestalt!" (1 Thess 5, 17. 19-22)

Kaplan Thomas Müller
12. Juni 2015