Erweckung der Sehnsucht nach Gott
Zahlreich sind die Gebetstexte im Alten und Neuen Testament, in denen heilige Verfasser ihre tiefe Sehnsucht nach Gott, Frieden, Freude, Licht, Wahrheit, Liebe und nach allen Dingen, die von Gott kommen, ausdrücken. Um den wahren Sinn des Gebets und dessen erste und wichtigste Voraussetzung zu begreifen, genügt es, den Psalm 63 zu lesen:
Der Psalmist betet:
"Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser. Darum halte ich Ausschau nach dir im Heiligtum, um deine Macht und Herrlichkeit zu sehen. Meine Seele hängt an dir, deine rechte Hand hält mich fest."
Wer sich nach Gott sehnt, wird Zeit für das Gebet haben, Gott suchen und ihn finden. Wo diese Sehnsucht nicht vorhanden ist, gibt es weder Gebet noch freudige Erwartung Gottes und die Begegnung mit ihm. Auch im Psalm 42 drückt der Psalmist seine tiefe Sehnsucht nach Gott aus, indem er seine Seele und sein Herz mit einem Hirsch vergleicht, der nach frischem Wasser dürstet:
"Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir.
Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen? Tränen waren mein Brot bei Tag und bei Nacht; denn man sagt zu mir den ganzen Tag: "Wo ist nun dein Gott?" Das Herz geht mir über, wenn ich daran denke: wie ich zum Haus Gottes zog in festlicher Schar, mit Jubel und Dank in feiernder Menge."
Es stellt sich nun die Frage, wie man in sich diese Sehnsucht erwecken und pflegen kann, welche die Seele zu Gott, wie den Hirsch zu frischem Wasser zieht? Die Antwort ist wieder im Fasten und im Gebet zu suchen. Wenn jemand fastet und betet, wird seine Seele von Tag zu Tag freier, und er wird in dieser Freiheit ohne Unterlass Gott suchen und nie mit dieser Suche aufhören.
In den Seligpreisungen verkündet Jesus:
"Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich... Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden...Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen..."(Mt 5,3.6.8).
Es handelt sich um das gleiche Problem: Diejenigen, die vor Gott arm sind, wissen, dass sie nur durch Gott reicher werden können und deshalb werden sie Gott suchen und auf diese Weise das Reich Gottes verdienen. Diejenigen, die hungern und dürsten, ersetzen ihre Sehnsucht nach Geistigem nicht durch irdisches Brot und irdisches Getränk; sie behalten auch ein reines Herz, weil sie wissen, was sie am nötigstens brauchen, und weil sie von irdischen Dingen nicht geblendet werden.
Die Sehnsucht nach Gott, die durch Fasten und Beten immer größer wird, ist eigentlich eines der Kriterien für die Praxis des christlichen Gebets und Fastens. Das Herz wird gereinigt, öffnet sich für geistige Werte, und kann durch nichts Irdisches aufgehalten werden. Gleichzeitig ist im Fasten jene Dimension enthalten, durch die ein Gläubiger zum himmlischen Festmahl geführt wird, und durch welche das Fasten eine eschatologische Bedeutung bekommt. Der Mensch wird dadurch befähigt, wach zu bleiben und zu warten, zu suchen und zu finden, und dann wieder aufs neue anzufangen und nicht müde zu werden. Und das ist eigentlich Liebe. Im Wesen der Liebe liegt, dass der Liebende immer sowohl nahe als auch weit vom Geliebten ist. Er fühlt sich ihm nahe, weil er ihn liebt. Eine räumliche und physische Entfernung stellt dabei überhaupt kein Hindernis dieser Liebe dar. Der Liebende fühlt sich immer weit vom Geliebten entfernt und deshalb geht er immer wieder auf die Suche nach ihm.
So kann man auch leicht die Problematik des heutigen Menschen begreifen, dessen Herz oft nach irdischen Sachen verlangt und sich auf dem Weg nach Gott verirrt. Das ist der größtmögliche Irrtum im menschlichen Leben. Fasten und Gebet können dem Menschen helfen, sich dieses Irrtums bewusst zu werden und ihn leicht zu überwinden, damit das Herz und die Seele des Menschen auf seiner irdischen Reise immer dem zugewandt bleiben, der ihn unermesslich liebt, und das ist nur Gott. Das Geheimnis aller Heiligen und Mystiker liegt gerade in dieser unermüdlichen Suche nach Gott und in ihrer Bereitschaft, alles zu verlassen, um ihrer Sehnsucht nach Gott zu folgen, um sie endlich in der Ewigkeit zu stillen.
Es ist leicht einzusehen, dass, wo Fasten und Gebet nicht vorhanden sind, es auch keine Sehnsucht nach Gott gibt. Maria ruft uns zum Fasten und Gebet auf, damit unser Herz immer frei bleiben und nach Gott suchen kann.
Quellenangaben: Text aus dem Buch "Mit dem Herzen fasten" von Pater Slavko Barbaric. Das Buch können Sie gerne bei der Gebetsaktion Wien (www.gebetsaktion.at/shop/pater-slavko-barbaric-mit-dem-herzen-fasten/) bestellen.