Neue geistliche Gemeinschaften und Bewegungen
Eine Anfrage an Berufung und Sendung der Kirche heute von Dr. Marianne Tigges
1. Einleitung: Neue Formen evangelischen Lebens als Gabe des Hl. Geistes und "Zeichen der Zeit"
Wenn man nach besonders auffälligen Hoffnungszeichen in unserer gegenwärtigen Kirche fragt, werden sehr oft die neuen geistlichen Gemeinschaften oder Bewegungen genannt. Sicherlich zu Recht, denn im ganzen stellen sie eine authentische christliche Antwort auf die Herausforderung der kulturellen Situation des Glaubens dar (vgl. Medard Kehl SJ, "Communio" - eine verblassende Vision? in: Stimmen der Zeit, Heft 7/1997, 453).
Die Konzilsdokumente haben die Gemeinsamkeit des ganzen Volkes Gottes in der Sendung und Berufung der Kirche inmitten der Welt immer wieder in den Vordergrund gerückt. Auch die Bischofssynoden der letzten Dekade haben die Gemeinschaft in der Kirche als Geschenk des Geistes in der Vielfalt der Charismen und der Lebensformen gewürdigt: die Berufung und Sendung der Laien (1987), die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart (1990) und das gottgeweihte Leben (1994).
Die nachfolgende Darstellung will eine Standortbestimmung der neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen versuchen; dabei werden insbesondere wichtige Merkmale und gemeinsame Leitelemente umschrieben, aber auch mögliche Gefährdungen und Schwierigkeiten benannt. Die Überlegungen wollen auch eine zentrale kirchenrechtliche Aussage veranschaulichen, die sozusagen als Präambel aller Formen des Laienapostolats bezeichnet werden kann. Im neuen Codex des kanonischen Rechts vom Jahr 1983 heißt es in Canon 215: "Den Gläubigen ist es unbenommen, Vereinigungen für Zwecke der Caritas oder der Frömmigkeit oder zur Förderung christlicher Berufung in der Welt frei zu gründen und zu leiten und Versammlungen abzuhalten, um diese Zwecke gemeinsam zu verfolgen." Dieses Vereinigungs- und Koalitionsrecht hat bereits das Zweite Vatikanum im Dekret über das Laienapostolat "Apostolicam actuositatem" festgelegt (vgl. AA 19). Es stellt die rechtliche Grundlage für alle Personenzusammenschlüsse in der Kirche dar, angefangen von der vorübergehenden Versammlung bis hin zu den höchsten Formen gemeinschaftlichen Lebens, wie den Orden und Säkularinstituten.
2. Versuch einer Standortbestimmung
In den vergangenen Jahren ist das Interesse an sog. "Erneuerungsbewegungen" oder "Geistlichen Aufbrüchen" innerhalb der christlichen Kirchen sichtbar gewachsen. Die neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen finden auch offiziell stärkere Beachtung, weil sie zahlenmäßig gewachsen sind und allmählich "ins Gewicht fallen" (vgl. hierzu P. J. Cordes, Mitten in unserer Welt, Freiburg 1987, 13 ff).
Auf weltkirchlicher Ebene haben die neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen Bestätigung und Ermutigung erfahren durch die Bischofssynode 1987, die über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt beraten hat. Das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Christifideles Laici" von Papst Johannes Paul II., das am 30. Dezember 1988 veröffentlicht wurde, ist gegenwärtig zweifellos der hauptsächlichste Bezugspunkt für alle Fragen, die die Berufung und Würde des Laien, seine Gemeinschaft und Teilhabe an der Sendung der Kirche betreffen. (Vgl. hierzu "Laien heute", Informationsdienst des Päpstlichen Rates für die Laien, 18 (1996), Seite 2).
Die neuen geistlichen Bewegungen sind Gruppierungen, in denen sich mehrheitlich Laien, aber auch Kleriker und Ordensleute um ein intensives religiöses Leben in Gemeinschaft bzw. um eine Glaubenserneuerung in der Kirche bemühen. Sie sind zumeist überortlich organisiert und weisen eine regional unterschiedliche Verbreitung auf.
Die Bezeichnung "Bewegungen" weist darauf hin, dass sich diese Gruppen schon in ihren Strukturen von herkömmlichen kirchlichen Gemeinschaftsformen nicht unbeträchtlich unterscheiden. Die Abgrenzung zu anderen Gruppen ist nicht immer leicht. Sie unterscheiden sich von den klassischen Orden und den neuzeitlichen Ordensbildungen, weil sie nicht auf einer so radikalen Lebensentscheidung gründen, die - wie in den Ordensgemeinschaften - mit lebenslangen Gelübden verbunden ist, und weil sie auch von daher weniger institutionelle und verfaßte Elemente haben. Sie rücken in eine gewisse Nähe zu den Säkularinstituten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der katholischen Kirche offiziell errichtet worden sind, haben aber keine so festumrissene Lebensform wie diese. Das Wort "Bewegungen" ist deshalb günstig, weil es die flexible Gemeinschaftsform gut andeutet: sie sind stärker strukturiert und mehr verpflichtend als Spontangruppen, aber nicht so bindend wie Assoziationen, Verbände oder Vereine. Es versteht sich von selbst, dass das Erscheinungsbild dieser Bewegungen außerordentlich verschieden und vielfältig ist, so dass der gemeinsame Nenner in inhaltlicher Hinsicht nicht leicht zu finden ist.
Der Blick auf den Ursprung neuer geistlicher Bewegungen macht deutlich, dass diese geistlichen Aufbrüche überwiegend im europäischen Raum entstanden sind: Communione e Liberatione 1954 in Mailand; der erste Cursillo fand 1949 auf der Insel Mallorca, Spanien, statt; die Ehegruppen Equipes Notre Dame sind 1938 in Paris entstanden; die Fokolar-Bewegung hat ihren Ursprung 1943 in Trient; die Internationale Bewegung christlicher Frauen - Gral hat ihren Ursprung in einer Laiengemeinschaft von Frauen, die 1921 in Holland gegründet wurde; Eheseminare vom Marriage Encounter wurden 1953 in Barcelona entwickelt; der neukatechumenale Weg hat seine Anfänge um 1965 in Madrid genommen; die Schönstatt-Bewegung geht zurück auf eine Weihe an die Gottesmutter, die 1914 in Vallendar, Deutschland, vollzogen wurde.
Der europäische Kontext gilt auch für die geistlichen Gemeinschaften, die auf einer Ordensspiritualität gründen: Die Franziskanische Gemeinschaft, die sich zur Nachfolge Christi im Geist des Franziskus von Assisi berufen weiß; die Gemeinschaft christlichen Lebens, die das Erbe des spanischen Ignatius von Loyola erneuern will; die Dominikanische Gemeinschaft, die im Geist des spanischen Ordensgründers Dominikus lebt und die Theresianische Karmelgemeinschaft, die das Erbe der spanischen Ordensgründer Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz für unsere Zeit leben.
Für die neuen geistlichen Bewegungen im deutschsprachigen Raum hat die Annahme geistlicher Impulse aus anderen europäischen Ländern immer ein hohes Maß an Sensibilität und Toleranz erfordert; nicht nur was die Sprachbarrieren betrifft. Die zahlreichen Kontakte und Initiativen auf internationaler Ebene bieten Christen in Deutschland jedoch auch die Chance, ihren Glauben weltweiter und damit "katholischer" zu leben.
Im zusammenwachsenden Europa stellt der osteuropäische Raum eine besondere Herausforderung dar, neue Wege der Evangelisierung zu entdecken und zu gehen. Für diese Aufgaben dürften die neuen geistlichen Bewegungen einen unverzichtbaren Beitrag leisten.
3. Geistliche Aufbrüche als Ausdruck der "Ecclesia semper reformanda"
Das Wort von der ständig erneuerungsbedürftigen Kirche hat die Jahrhunderte hindurch die Geschichte der Kirche entscheidend geprägt. Immer wieder gab es innerkirchliche Aufbrüche, die das Evangelium radikal zu leben suchten (z. B. Ordensgründungen durch Benedikt von Nursia, Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi und Ignatius von Loyola).
Durch Jahrhunderte war die Nachfolge Christi weitgehend mit der Spiritualität der Orden verbunden. Eine eigene "Laienspiritualität" entwickelte sich erst wieder intensiver im 20. Jahrhundert. Das Wort vom Volk Gottes als "auserwähltes Geschlecht" und "königlicher Priesterschaft" (1 Petr 2,9) wurde neu entdeckt. Die Mehrzahl der geistlichen Bewegungen wurde vor dem Zweiten Vatikanum grundgelegt; das Konzil hat sich jedoch auf diese Bewegungen selbst und auf ihre Vitalität maßgebend ausgewirkt. Nur in aller Kürze können einige Leitthemen als Anknüpfungspunkte genannt werden: die Lehre vom geschichtlich wandernden Volk Gottes, vom Leib Christi in Einheit und Verschiedenheit aller Glieder, von der Würde der einzelnen Charismen und Begabungen in der Kirche, von der überragenden Bedeutung des gemeinsamen Priestertums aller Glaubenden, vom Zusammenwirken der Laien und Amtsträger. Mit einem zentralen Text soll dieser Zusammenhang exemplarisch belegt werden. So heißt es über die Charismen in der Kirchenkonstitution "Lumen gentium": "Derselbe Heilige Geist heiligt ... nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern 'teilt den Einzelnen, wie er will' (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: 'Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben' (1 Kor 12,7). Solche Gnadengaben, ob sie nun von besonderer Leuchtkraft oder aber schlichter und allgemeiner verbreitet sind, müssen mit Dank und Trost angenommen werden, da sie den Nöten der Kirche besonders angepasst und nützlich sind" (LG 12). Von diesem Text des Konzils her, der sicherlich zu den eindrucksvollsten Zeugnissen der Erneuerung durch das Vatikanum II gehört, wird auch offenkundig, was mit "geistlich" in dem Begriff geistliche Bewegungen gemeint ist: eine geistgewirkte, von den Charismen bestimmte Wirklichkeit, wie sie im Bereich des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe lebendig wird.
Hinweise, dass die neuen geistlichen Bewegungen mit großen Grundkräften der nachkonziliaren Erneuerung und mit vielen anderen Strömungen des heutigen kirchlichen Lebens in engster Verbindung stehen und sich gegenseitig befruchten, finden sich wiederholt in kirchenamtlichen Stellungnahmen und Dokumenten. Die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zu den Lineamenta für die Bischofssynode 1987 nennt als bedeutsame Grundformen der Gemeinschaft im Apostolat der Laien die klassischen katholischen Verbände, die geistlichen Bewegungen und Basisgemeinschaften (vgl. Stellungnahme 2.5, herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz als Arbeitshilfe 45, 2. Mai 1986, 18 f). Das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Christifideles Laici" (CL) betont für die Zusammenschlüsse von Laien auch den Reichtum und die Vielgestaltigkeit der Gaben, die der Geist in der Kirche lebendig erhält (vgl. a. a. O. Nr. 29). Die neuen geistlichen Gemeinschaften sind so mitten im Leben der Kirche, nehmen an ihrer vielfachen Selbstverwirklichung teil und sind Kirche in einem authentischen Sinn. Je nach Struktur ergeben sich daraus freilich auch rechtliche Fragen, wie sie sich nämlich zu den verfassten Organen des kirchlichen Lebens und zum geistlichen Amt im besonderen verhalten. Das neue Kirchenrecht hat dafür einen breiten Raum von verschiedenen Realisierungsformen geschaffen, die noch längst nicht genügend ausgeschöpft sind (vgl. CIC 1983, Can. 113 - 123, 215, 223, 298 - 329).
Die Bischofssynode 1994 hat über "Das gottgeweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt" beraten. Bereits in den vorbereitenden Dokumenten waren "Neue Gemeinschaften und erneuerte Formen des Lebens nach dem Evangelium" umschrieben worden. Das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Vita Consecrata", das am 25. März 1996 vorgelegt worden ist, verbindet die Umschreibung der neuen Gemeinschaften mit dem Hinweis, dass die neuen Vereinigungen keine Alternativen zu den früheren Institutionen sind, sondern eine Gabe des Geistes, der sich durch die Zeichen der Zeit offenbart und Ursprung der Gemeinschaft und ewiger Erneuerung des Leben ist (vgl. VC Nr. 62).
4. Gemeinsame Leitelemente neuer geistlicher Bewegungen
Aus dem vielschichtigen Erscheinungsbild neuer geistlicher Aufbrüche und Bewegungen lassen sich - mit einer gewissen Abstraktion - einige gemeinsame und durchlaufende Perspektiven herausgreifen. Diese Leitelemente kommen in den einzelnen Bewegungen in unterschiedlicher Gewichtung zum Tragen (zum Folgenden vgl. F. Valentin (Hrsg), Neue Wege der Nachfolge, Salzburg 1981, 207 ff, M. Tigges, Neue geistliche Bewegungen - eine Anfrage an Berufung und Sendung der Kirche heute, in: Ordenskorrespondenz 3/1987, 291 ff).
4.1 Spiritualität und Glaubenserfahrung
Die verschiedenen Gruppen von Bewegungen hält das Interesse an Spiritualität zusammen. Es geht nicht in erster Linie um Aktion und Programm, Effizienz und Strategie, vielmehr um eine Erneuerung des menschlichen Denkens und Wollens aus dem Geist des Evangeliums. Diese Spiritualität knüpft meistens an große Vorbilder und Meister des geistlichen Lebens an und bedient sich nicht selten herkömmlicher oder auch neuer Techniken und Einübungsformen der Meditation und des Gebetes. Gemeinsam dürfte den geistlichen Bewegungen auch der Drang nach Glaubenserfahrung sein. Sie wollen sich nicht mit einem äußeren Kennenlernen von Formeln und Begriffen begnügen, sondern - um mit der klassischen Tradition zu sprechen - die Dinge Gottes von Innen her verkosten.
Aus der Glaubenserfahrung in der Gemeinschaft entspringt auch das gemeinsame Sprechen darüber, das selbst wiederum elementare Voraussetzung ist für das Zeugnis des Glaubens nach außen. Bei fast allen Gruppen spielt dabei die Lektüre der Heiligen Schrift und das Bibelgespräch eine große Rolle. Die Erneuerung des Gottesdienstes in kleinen Gruppen, aber auch in größerer Gemeinschaft und eine Neubesinnung auf die Sakramente gehören zu dieser Spiritualität, die sich bewusst als zur Kirche gehörig begreift.
Einige Gruppierungen bemühen sich besonders um ein vertieftes Verständnis der Taufe; die Tauferneuerung steht bei ihnen an entscheidender Stelle (Charismatische Erneuerung, Cursillo-Bewegung, Neue katechumenale Gemeinschaft).
Das Sakrament der Ehe neu zur Erfahrung werden zu lassen, ist ein besonderes Anliegen der verschiedenen Ehe-Gruppen (Equipes Notre Dame, Marriage Encounter).
Auch das Bußsakrament wird in diesen Gemeinschaften neu entdeckt. Die Entwicklung weg von der kurzen schematischen Beichte hin zum Beichtgespräch und zur geistlichen Beratung und Führung ist für die Mitglieder gleichsam eine Selbstverständlichkeit geworden.
Das Sakrament der Firmung und die Feier der Krankensalbung haben vor allem in der Charismatischen Erneuerung einen neuen Stellenwert erhalten.
Schließlich wächst in solchen intensiv christlichen Gruppen neu das Gespür für die Notwendigkeit und den Geschenkcharakter geistlicher Berufe. Aus den verschiedenen Bewegungen haben sich schon zahlreiche junge Menschen für den kirchlichen Dienst entschieden (vgl. hierzu auch das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Pastores dabo vobis" vom 25. März 1992, Nr. 68).
Spirituelle Erfahrung braucht neben Reflexion und geistlicher Führung, neben Zeiten der Stille und des Gottesdienstes auch das Element der Weiterbildung, wenn sie nicht bei einer subjektiv gefärbten Innerlichkeit stehen bleiben will. Die Bewegungen sorgen daher dafür, dass in regelmäßigen Treffen und/oder durch schriftliche Mitteilungen den einzelnen eine entsprechende Hilfe an die Hand gegeben wird (Werkhefte und Monatszeitschriften).
4.2 Evangelisation und Katechese
"Evangelisation" oder "Evangelisierung" ist in der deutschen Sprache noch ein relativ junger Begriff, der jedoch in den letzten Jahren immer häufiger in theologischen Abhandlungen, katechetischen Papieren und Predigten verwendet wird (vgl. hierzu u. a. das grundlegende Apostolische Schreiben von Papst Paul VI. über die Evangelisierung in der Welt von heute "Evangelii nuntiandi" vom 8. Dezember 1975; das Apostolische Schreiben "Christifideles Laici" von Papst Johannes Paul II., dort bs. die Nrn. 34 und 44, vgl. auch den Artikel "Evangelisation" im Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3, Spalte. 1033 - 1036, Freiburg 1995).
Die neuen geistlichen Bewegungen legen Wert auf die Verwirklichung des Auftrags, das Evangelium zu verkünden, gerade in den Bereichen, in denen die Kirche nur durch das Apostolische Zeugnis der Laien das "Salz der Erde" werden kann (vgl. hierzu auch die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils über das Laienapostolat, LG 33).
Aus dem Mangel an echter Katechese sind z. B. das Neukatechumenat und das Cursillo, das bewusst offen ist für engagierte Christen wie für sogenannte Fernstehende, entstanden. Es sind oft ungewohnte, neue Wege, auf denen das Evangelium weitergetragen wird. Es zeigt sich aber in den Wirkungen, dass solche Versuche echte Hilfen sind, den Auftrag Christi in der heutigen Zeit zu erfüllen. Dies erkennt man u. a. daran, dass der Mut zum engagierten Glaubensbekenntnis - von einzelnen Mitglieder oder der Gruppe gelebt - vor allem jungen Menschen den Zugang zur christlichen Botschaft neu erschließt. Im Umfeld der charismatischen Erneuerung werden verstärkt "geistliche Bibelschulen" und "Lebens- und Glaubensschulen" angeboten. Um die Evangelisation glaubwürdig verwirklichen zu können, betonen und fördern die geistlichen Bewegungen - entsprechend ihrem besonderen Charisma - die innere Einheit zwischen dem praktischen Leben und dem Glauben ihrer Mitglieder.
4.3 Gemeinschaft und Brüderlichkeit
Bezeichnend für die geistlichen Bewegungen ist auch die Überzeugung, als Glaubende gemeinsam unterwegs zu sein. Die Schriftstelle "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18,20) ist für manche Gemeinschaft Leitwort geworden; erst durch Christus und in ihm ist wirkliche Gemeinschaft und brüderliche Gesinnung untereinander möglich. Die Erfahrung von Gemeinschaft im Namen Jesu ist aber nicht Selbstzweck. Sie ist von Anfang an offen für andere. So kann die Gruppe bzw. die konkrete geistliche Gemeinschaft auch als "Kirche im kleinen" verstanden werden (vgl. dazu LG 11, GS 48, AA 11, Apostolisches Schreiben "Familiaris consortio", Nr. 49 u. a.). So übersetzt sich die Rede von der Kirche als "Communio" in erfahrbare und anschauliche Nähe.
Ein solches Leben in geistlicher Gemeinschaft ist darum in verschiedenem Sinn von Geschwisterlichkeit geprägt. Diese hat notwendigerweise einen weitgespannten Bogen. Sie kennt die Geborgenheit und Nähe der überschaubaren Gruppe, sie weiß etwas von der Solidarität größerer Gemeinschaften; gerade in der Kirche bedeutet dies umfassende Katholizität und Internationalität. Darum gehen viele geistliche Bewegungen auch an die "Straßen und Zäune", Randzonen und Außenbezirke unseres Lebens. Geschwisterlichkeit wird zur Diakonie. Der Weg zu Gott führt über den Bruder und die Schwester.
Vor allem geht es immer wieder darum, das Christsein im Alltag zu verwirklichen. Dazu wollen die verschiedenen Gruppentreffen eine Hilfe und Ermutigung sein. Der persönliche Austausch, die Korrektur und Ermutigung, vor allem aber die Erfahrung, nicht allein in diesem Bemühen zu sein und sich mit anderen verbunden und von ihnen getragen zu wissen, gibt den einzelnen immer neue Kraft für ihre ganz unterschiedlichen Aufgaben. Für die heutige materialistisch denkende und konsumorientierte Gesellschaft dürfte die Tendenz zur Armut, wie sie von vielen Mitgliedern der geistlichen Bewegungen gelebt wird, ein besonders aktuelles Zeugnis sein.
Als offene Gemeinschaft sind viele geistliche Bewegungen auch ökumenisch ausgerichtet. So ist z. B. das "Lebenszentrum Ottmaring" bei Augsburg durch das Engagement der Fokalarini als ökumenische Begegnungsstätte entstanden.
4.4 Aufgaben in der Welt und Sendung
Diese Geschwisterlichkeit ist nicht nur - wie schon erkennbar wurde - gruppenintern, sondern bezieht sich auf alle Menschen. Der Weltauftrag wendet sich jedoch zuerst an Personen, die der Hilfe bedürfen, nur in zweiter Linie treten auch gesellschaftliche und politische Strukturen in den Vordergrund des Interesses. Dies ist besonders bei den Aufgaben der Diakonie erkennbar. Es ist ein Kennzeichen der neuen geistlichen Bewegungen, dass ihre Weltzuwendung nicht loszutrennen ist von ihrer Spiritualität. Kontemplation und Kampf, um mit Roger Schutz aus Taizé zu sprechen, gehören zusammen. Weltdienst und Heilsdienst werden zwar unterschieden, brauchen aber einander und vermitteln sich gegenseitig. Es ist freilich ein kritischer Zug in dieser Form des Weltauftrags erkennbar: das Engagement in der Welt ist gepaart mit gleichzeitiger Distanz. Gegenüber der offenen Gesellschaft mit ihren Bedürfnissen und Interessen besteht ein letzter Vorbehalt. Auch wenn die Welt der Ort der von Glaube, Hoffnung und Liebe geprägten Spiritualität ist, so bleibt sie doch das Vorletzte. So bleibt der Weltauftrag der neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen immer irgendwie auch eine Art Gegenentwurf, eine Alternative, was sie gewiss mit manchen Tendenzen in bestimmten Gruppen heutiger Subkulturen verbindet. Dies gilt z. B. für die Suche nach Formen alternativer Lebensstile. Aber auch diese sind von der spirituellen Triebkraft beeinflusst, wie sich z. B. an der vielfach geübten Praxis der "Wüstentage" erkennen lässt. Das wahre Sicheinlassen auf die Welt geht einher mit einem eschatologisch orientierten Verzicht. Hier gibt es Berührungspunkte mit den klassischen Orden und den Säkularinstituten (vgl. hierzu auch VC 62).
4.5 Neues Verhältnis von Laien und Amtsträgern
Die neuen geistlichen Bewegungen sind weitgehend von Laien getragen, auch wenn viele Priester Pionierfunktionen innehaben oder innehatten. Die Funktion der Verantwortlichen ist eher die Ausübung des Leitungscharismas als die Verwaltung eines Amtes. Häufig finden wir in den Bewegungen die Koordination durch ein Leitungsteam. Zweifellos vollzieht sich in den neuen geistlichen Aufbrüchen eine gewisse Erneuerung des Laienapostolates. Aber über diese Tatsache hinaus ermöglichen die geistlichen Bewegungen ein neues Verhältnis von Laien und Amtsträgern. Sie stehen sich nicht als unterschiedliche "Stände" gegenüber. Sie begegnen einander zuerst auf dem Boden des gemeinsam gelebten christlichen Glaubens. Das gemeinsame Priestertum aller Glaubenden schafft eine elementare geschwisterliche Gemeinschaft, die selbstverständlich unterschiedliche Aufgaben und Funktionen zuläßt, ja geradezu fordert und anerkennt. Das oft unfruchtbare Gegenüber von Institutionen und Charisma, von Amt und Laientum entkrampft sich, weil es im gelebten Christsein eine Voraussetzung gibt, die alle Gegensätze und Spannungen umgreift und dadurch wenigstens mildert. So ermöglichen die neuen geistlichen Aufbrüche die Umsetzung der großen Prinzipien der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils in das gelebte Leben im Alltag der Welt.
4.6 Neue Form von Kirchlichkeit
Blickt man auf die genannten fünf Strukturelemente, die den verschiedenen neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen gemeinsam zu sein scheinen, zurück, so kann man von allen Dimensionen her wahrnehmen, wie sich eine neue Form von Kirchlichkeit abzeichnet, die nicht mehr nur institutionsbezogen ist oder gar ideologische Züge annimmt: primär und fundamental getragen von Spiritualität und Glaubenserfahrung, ausgerichtet auf die Verkündigung des Evangeliums an alle Welt, umfassende Gemeinschaft in vielen Ebenen und praktizierte Brüderlichkeit, Hinwendung zur Not der Welt und neues Miteinander von Laien und Amtsträgern. Gerade in diesen Perspektiven kündigt sich eine neue und von vielen gesuchte Form wahrer "Kirchlichkeit" an, die Raum lässt für die Vielfalt der Charismen und Dienste und eine gegenseitige Bereicherung ermöglicht. So erheben die geistlichen Bewegungen und Intensivgemeinschaften keinen Absolutheitsanspruch; ihnen gemeinsam ist das Bewusstsein, ein Funke im Feuer des Heiligen Geistes zu sein, der der Kirche in unserer Zeit geschenkt ist. Die geistlichen Bewegungen haben immer von sich aus den Kontakt zum Amt in der Kirche gesucht. Die Treue zur Ortskirche ist für sie ein wichtiges Element. Es ist sicherlich auch ein Zeichen für die Katholizität und Weite der Kirche, dass die neuen geistlichen Gemeinschaften und Laienbewegungen bewusst in der Kirche und von dieser anerkannt bestehen (vgl. vor allem AA 21 und CL 30, wo Kriterien der Kirchlichkeit für die Zusammenschlüsse von Laien genannt sind).
5. Mögliche Gefährdungen und Schwierigkeiten in neuen geistlichen Bewegungen
Die neuen geistlichen Aufbrüche sind nicht fertige Größen, sondern sie sind immer wieder in Korrektur begriffen. Darum ist es notwendig, wenigstens kurz von ihren Gefährdungen zu sprechen (vgl. ergänzend M. Tigges a. a. O. 295 ff).
5.1 Spirituelle Einseitigkeit
Wer streng und entschieden nach der Lebensordnung neuer geistlicher Bewegungen sein tägliches Dasein und Tun gestaltet, muss dies entschieden tun, sonst gelingt ihm keine durchgreifende Erneuerung des Lebens. Aber jede spezifische Ausrichtung kann auf längere Zeit auch blind machen für andere Erfahrungen. Darum scheint es mir notwendig zu sein, dass die neuen geistlichen Aufbrüche sich dieser Gefahr der Überbetonung und Einseitigkeit bewusst werden. Fehlentwicklungen und Irrwege müssen nüchtern für möglich gehalten werden. Schutz davor bietet Offenheit gegenüber anderen Erfahrungen, weltweiter Erfahrungsaustausch und Ergänzung durch den Kontakt mit anderen geistlichen Bewegungen. Das Wissen um diese Komplementarität schützt vor elitärer Übersteigerung, die ja eine sehr hohe, aber weitgehend verborgene Gefahr gerade spiritueller Menschen sein kann.
5.2 Ausschließlichkeitsanspruch einzelner Ansätze
Es wurde bereits gesagt, daß die neuen geistlichen Bewegungen Kirche verwirklichen. In diesem Sinne können sie eine "Kirche im kleinen" sein. Aber gerade darum dürfen sie sich nicht selbstgenügsam abkapseln und sich nicht von den großen Aufgaben der Kirche zurückziehen. Sie dürfen sich nicht als die Kirche betrachten. Sonst werden sie faktisch eine Art Sekte, die nach außen alles andere abzuwerten in Gefahr ist und einen Ausschließlichkeitsanspruch vertritt, der zu Überheblichkeit und Intoleranz führen kann. Solche Gemeinschaften verlieren bald auch den Bezug zur Kirche im konkreten Sinne: zur Pfarrei vor Ort, zum Bistum und zur Weltkirche. Ein solches konkretes Stehen in der ganzen Kirche ist ein wichtiges Kriterium.
5.3 Flucht in die Intimität der Kleingruppen
Eine Gefahr besteht auch darin, dass neue geistliche Aufbrüche zu einer Zufluchtsstätte werden, in der sich vorwiegend Menschen sammeln, die zwar mit Recht Geborgenheit suchen, zugleich jedoch in eine solche Intimität der Kleingruppe flüchten. Sie scheuen die vielfache Auseinandersetzung mit den Fragen und Herausforderungen des Alltags in der modernen Welt. Es ist gewiss legitim, wenn einzelne Menschen in diesen Gemeinschaften gegenüber einer Überforderung und dem Stress dieses Prozesses der Auseinandersetzung zeitweise oder auch für immer Schutz finden, aber dies darf nicht eine Gemeinschaft als solche tiefgreifend prägen. Geistliche Gemeinschaften dürfen nicht zu Schlüpflöchern werden für Menschen, die dieser Auseinandersetzung nicht gewachsen sind. Solche verdienen bergenden Schutz und ermunternde Nähe, aber sie brauchen auch Unterstützung und Ermutigung. Sonst werden geistliche Bewegungen und Intensivgemeinschaften zu problematischen Fluchtburgen für "Aussteiger", die sich letztlich dem christlichen Lebenszeugnis versagen.
5.4 Vermischung menschlicher Reformwünsche mit den Impulsen des Geistes
Wer sich mit solcher Sensibilität und Intensität auf den "Zeitgeist" einlässt wie viele neue geistliche Bewegungen, der muss besonders tief gründen, um die notwendige Unterscheidung der Geister vollziehen zu können. Die starke Öffnung nach außen und die Aufforderung, die Botschaft Jesu im Alltag zu verwirklichen, kann auch in geistlichen Bewegungen zum Aktionismus führen. Größer dürfte jedoch die Gefährdung sein, die eigenen Reformwünsche mit den Impulsen des Geistes zu vermischen. Hier wird die Notwendigkeit deutlich, Lehre und Praxis einer "Unterscheidung der Geister" wieder zu einem Schwerpunkt kirchlicher Verkündigung und kirchlichen Lebens zu machen, gerade angesichts der dem Laien aufgetragenen Sendung in eine zunehmend komplexe und für den Glauben ambivalente Welt (vgl. Stellungnahme der Deutschen Bischoftskonferenz zu den Lineamenta für die Bischofssynofe 1987, 3.3; vgl. auch das Eröffnungsreferat von Bischof Karl Lehmann bei der Herbst-Vollversammlung 1997 in Fulda "Wächter, wie lange noch dauert die Nacht?" zum Auftrag der Kirche angesichts verletzter Ordnungen in Gesellschaft und Staat, Kapitel 1).
Für die positive Auseinandersetzung mit diesen und anderen Gefährdungen und Schwierigkeiten bleiben die neuen geistlichen Bewegungen und Gemeinschaften angewiesen auf ein Klima des Wohlwollens und der Ermutigung innerhalb der Communio der Kirche, vor allem von seiten der Amtsträger.
6. Förderung und Koordination des Laienapostolates durch den Päpstlichen Rat für die Laien
Der Päpstliche Rat für die Laien ist Teil der Römischen Kurie. Mit der Apostolischen Konstitution "Regimini ecclesiae universae" vom 15. August 1967 hat Papst Paul VI. die vom Konzil gewünschten Kurienreform verwirklicht und durch weitere nachfolgende Reformprozesse ergänzt. Trotz der Bezeichnung als "Rat" ist der Pontificium Consilium Pro Laicis von der Aufgabenstellung und der Zielsetzung her eher einer Kongregation zu vergleichen.
Der Artikel 131 der Apostolischen Konstitution "Pastor bonus" über die Römische Kurie lautet: "Der Rat ist in jenen Fragen kompetent, die ihn vom Apostolischen Stuhl her für die Förderung und Koordination des Laienapostolats berühren, und im allgemeinen in jenen Fragen, die das christliche Leben der Laien als solche betreffen" (AAS 80 (1988), 894). Diese Umschreibung dürfte die realen Möglichkeiten dieses Dikasteriums übersteigen, sie bedeutet für den Laienrat sicherlich eine bleibende Herausforderung und Antrieb zu neuen Initiativen.
Im Rahmen dieses Referates kann nur zusammenfassend auf einige zentrale Aufgaben und Initiativen des Laienrates eingegangen werden; dabei wird vor allem der Zeitraum seit 1990 berücksichtigt (vgl. zum folgenden auch "Laien heute", Informationsdienst des Päpstlichen Rates für die Laien, 18 (1996).
Der Päpstliche Rat für die Laien hat die vorrangige Aufgabe, den Papst bei der Ausübung seines Hirtenamtes zu unterstützen (vgl. Pastor bonus Art. 1). Für diese Aufgabe hat sich der Laienrat in den zurückliegenden Jahren insbesonders leiten lassen von dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben "Christifideles laici" und von den Katechesen und Ansprachen über die Laien, die Johannes Paul II. in Rom oder auf seinen apostolischen Reisen gehalten hat.
Ein weiterer Schwerpunkt sind die Beziehungen des Laienrates zu den verschiedenen Teilkirchen und zu den Bischofskonferenzen. Für zahlreiche Bischöfe war das Nachsynodale Apostolisches Schreiben CL Hilfe und Weisung bei der Behandlung neuer Fragen und Situationen in der Begleitung der Laien. In den zurückliegenden Jahren hat der Laienrat einen beträchtlichen Anstieg der Delegationen von Bischöfen registriert, die das Dikasterium anlässlich ihrer Ad-limina-Besuche aufsuchten. Auch die Zahl der persönlichen Besuche von Bischöfen beim Päpstlichen Laienrat hat zugenommen. Die häufigsten Gesprächsthemen bei diesen Begegnungen waren: die Ausbildung der Laien; die Beziehung der kirchlichen Bewegungen zu den Bischöfen und ihre Einbindung in das Leben der Ortskirche; die nicht an das Weiheamt gebundenen Dienste und Ämter, die Laien übertragen werden können; der Einsatz der Laien in der Welt; die Teilhabe der Frau und die Jugendpastoral. Die Verbindung zu den Bischofskonferenzen wird vor allem aufrechterhalten durch ihre Kommissionen für das Laienapostolat.
Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt liegt in der Begleitung der nationalen Laienräte. Der Päpstliche Rat für die Laien hat sehr unterschiedliche Erfahrungen gesammelt und bewertet und 1955 ein Dokument über die Unterscheidungskriterien und die Verfassung der nationalen Laienräte erarbeitet. Es ist veröffentlicht als Nr. 38 der Zeitschrift "Laien heute" mit dem Titel: "Nationalräte von Laien. Kriterien und Modelle". Das Dikasterium wollte so zur Bildung solcher Räte auf nationaler oder regionaler Ebene als Orte wahrer Gemeinschaft, Teilhabe und Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen des Laienstandes ermutigen.
In einer neuen Zeit der Zusammenschlüsse von Laien (vgl. CL 29) konzentrierte sich die Arbeit des Päpstlichen Laienrates zunehmend auf die Prüfung der neuen Gemeinschaftsformen und Verantwortung für ihre kirchenrechtliche Anerkennung und Einrichtung (vgl. hierzu Pastor bonus, Art. 135, AAS 80 (1988), 895). Diesen Anerkennungen gehen immer positive Gutachten der Ordinarien, in deren Diözesen die betreffenden Bewegungen eine Niederlassung haben, und Beratungen mit Bischöfen und Experten für Kirchenrecht voraus. Die zahlreichen Gesuche der neuen Zusammenschlüsse um kanonische Anerkennung oder Errichtung veranlassten den Laienrat, einen "Verfahrensweg" für Antrag und Prüfung festzulegen. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Laienrat dabei der Untersuchung der Statuten und der Ausarbeitung von Dekreten zur Anerkennung eines Zusammenschlusses als juristische Person. Im kirchenrechtlichen Bereich ging es vor allem um Unterscheidungskriterien für Vereinigungen öffentlichen und privaten Rechts, um Mitgliedsschaft von Christen anderer Konfessionen in katholischen Laienvereinigungen oder um die kirchenrechtliche Struktur der Laienvereinigungen, deren Mitglieder radikal nach den evangelischen Räten leben.
Im Rahmen einer zunehmenden Pluralität der Vereinigungen wird der Päpstliche Laienrat oft um Rat gefragt bei der Bildung von Laienorganisationen, die in Verbindung mit der Spiritualität, dem Leben und dem Wirken von Ordensgemeinschaften stehen. Neben der Erneuerung einiger sogenannter dritter Orden entstanden zahlreiche Bewegungen, Brüderschaften und Laiengemeinschaften, die auf verschiedene Weise Ordensfamilien und dem Charisma der jeweiligen Gründer angegliedert wurden. Der Laienrat hat im Laufe von Treffen und Versammlungen immer die primäre Bedeutung des Zeugnisses der Ordensgemeinschaft und der notwendigen laikalen Identität der mit ihr verbundenen Vereinigung bekräftigt. Ordensgemeinschaft und Laienvereinigung sollen ihre Lebensstände nicht vermischen, aber eine tatkräftige und herzliche Gemeinschaft pflegen und in ihrer Sendung zusammenarbeiten. Zur Klärung und Förderung der gegenseitigen Beziehungen veranstaltete der Päpstliche Rat für die Laien in Zusammenarbeit mit der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des Apostolischen Lebens bereits in der Vorbereitungsphase der Bischofssynode über das gottgeweihte Leben ein Treffen der Generaloberinnen und -obern und Leitern von Laienvereinigungen. Die Akten erschienen unter dem Titel: "Rebzweige des einen Weinstocks" im Dokumentationsdienst Nr. 28 (1994).
Der Päpstliche Rat für die Laien steht mit mehr als 120 internationalen Laienvereinigungen im Gespräch. Die Förderung gegenseitiger Anerkennung, Zusammenarbeit und Gemeinschaft unter den verschiedenen Vereinigungen bleibt eine besondere Herausforderung in der weltkirchlichen Koordination des Laienapostolats. In dieser Hinsicht spielt auch die Zusammenarbeit mit katholischen Jugendverbänden, -bewegungen und -gruppen eine wichtige Rolle. In den zurückliegenden Jahren konzentrierte sich ein beträchtlicher Teil der Arbeit des Laienrates auf die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der internationalen Jugendforen und der damit verbundenen Weltjugendtage: Tschenstochau (August 1991), Denver (August 1993) und Manila (Januar 1995). Dazu kam das wichtige europäische Jugendtreffen in Loreto (September 1995) und die Durchführung der Weltjugendtage in Paris (August 1997). Diese Veranstaltungen haben entscheidend zur Wiederbelebung der Jugendpastoral auf örtlicher und universeller Ebene beigetragen. Die Tatsache, dass sich Mitglieder von Bewegungen und Vereinigungen mit einer Vielzahl von Jugendlichen aus den verschiedenen Teilkirchen treffen, hat darüberhinaus eine zunehmende missionarische Verbundenheit geschaffen. Gleichzeitig muss jedoch auch kritisch angefragt werden, inwieweit solche Großveranstaltungen in den kirchlich-gemeindlichen Alltag übertragen werden können. (Vgl. hierzu K. Nientiedt, Eine neue Generation. Die XII. Weltjugendtage in Paris, in: Herderkorrespondenz 19/1997, 500 - 505).
Zur Zeit bereitet der Päpstliche Rat für die Laien ein Welttreffen für die kirchlichen Bewegungen vor, das vom 26. - 29. Mai 1998 in Rom stattfinden wird. Dieses Treffen will Ort der Begegnung, der Freundschaft und des Gebetes sein; es will einer intensiven theologischen Vertiefung der Wirklichkeit der Bewegungen dienen und es soll ein kirchliches Ereignis sein, das die Zusammenarbeit der Bewegungen beim Werk der Neuevangelisierung anregt (vgl. "Laien heute", Informationsdienst des Päpstlichen Rates für die Laien 20 (1997), Seite 5 und 6).
7. Schlußbemerkung: Geistliche Erneuerung als bleibender Auftrag aller Christgläubigen
Die verschiedenen geistlichen Aufbrüche und Erneuerungsbewegungen sind auch heute weitgehend eine heilsame Störung der althergebrachten Ordnung. Es ist in der Praxis aber schwer möglich, dass die institutionellen Instanzen die geistlichen Impulse vollständig aufarbeiten und integrieren. Daher ist es legitim und notwendig, dass diese unterschiedlichen Aspekte intensiven christlichen Lebens sich in der Kirche, aber nicht unbedingt in bereits bestehenden Strukturen entfalten können.
Der Heilige Geist, welcher die einzigartige Zusammengehörigkeit der Kirche mit ihrem Herrn gewährleistet, schenkt Einheit und Vielheit zugleich. Er gewährt sehr viel mehr Freiheit der Geistwirkungen, der Lebensformen und auch der Erkenntnis als wir von uns aus zulassen würden. Aber letztlich dient diese Vielfalt einer neuen Form von Einheit. Diese besteht nicht in der Aufhebung der Pluralität, sondern vielmehr in ihrem freien Zusammenwirken zu einem Ganzen, wie Paulus es im 1. Korintherbrief zum Ausdruck gebracht hat. Für dieses Zusammenwirken ist entscheidend, dass geistliche Erneuerung als bleibender Auftrag aller Christgläubigen bewusst gemacht und glaubwürdig praktiziert wird (vgl. hierzu CL 18 ffl, insbes. Nr. 24 die Ausführungen über die Charismen).
Die heutigen Ausführungen haben nur auszugsweise und begrenzt neue Gemeinschaftsformen geistlichen Lebens und ihre Bedeutung für den Dienst der Kirche von heute darstellen können. Ich hoffe diese Darstellung hat ein wenig deutlich gemacht, dass neue geistliche Aufbrüche trotz vieler Unterschiede in der Entstehungsgeschichte, im äußeren Erscheinungsbild und in den Tätigkeitsfeldern in ihrer Zielsetzung weitgehend zu einer tiefen Konvergenz kommen: Die verantwortliche Teilhabe an der Sendung der Kirche, das Evangelium Christi als Quelle der Hoffnung für die Menschen und der Erneuerung für die Gesellschaft zu künden (vgl. CL, 29).
Mit dem Apostolischen Schreiben "Tertio Millenio Adveniente" hat Papst Johannes Paul II. alle Christgläubigen eingeladen, sich auf das Jubeljahr 2000 vorzubereiten. 1998, das zweite Jahr der Vorbereitungsphase, ist in besonderer Weise dem Heiligen Geist gewidmet. Für Johannes Paul ist der Geist auch für unsere Zeit die Hauptkraft der Neuevangelisierung. Somit gehört die Wiederentdeckung der Anwesenheit und Wirksamkeit des Geistes zu den wichtigen Aufgaben der Vorbereitung auf das Jubeljahr (vgl. TM, 45).
Für diesen Auftrag, der das ganze Volk Gottes betrifft, möchte ich uns abschließend ein Wort von Karl Rahner mit auf den Weg geben, das ich gern als sein "geistliches Vermächtnis" bezeichne. In seinem Beitrag "Die Kirche als Ort der Geistsendung" sagt Rahner:
"Nur wer kirchlich und selbständig,
demütig und wagemütig,
gehorsam und um eigene Verantwortung wissend,
ein Beter und Täter ist,
der Vergangenheit und der Zukunft der Kirche verbunden ist,
nur der schafft Raum,
dass Gottes stürmender Pfingsgeist,
der ewig alte und ewig junge, in ihm wirkt,
das Angesicht seiner eigenen Seele erneuert,
sich seiner bedient,
um auch die Erde zu wandeln."
(Schriften zur Theologie, Band VII, 187, Einsiedeln/Zürich/Köln, 2. Aufl. 1971; Erstveröffentlichung in Geist und Leben, 29 (1956), 97).
Dr. Marianne Tigges
Marianne Tigges, geboren 15.02.1942 in Hagen/Westfalen. 1975 Promotion in der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelm-Universität in Münster (Pädagogik/Theologie/Philosophie). Bis 1979 Einsatz in Ostafrika. Von 1980 bis tätig als Referentin beim päpstlichen Missionswerk MISSIO in Aachen, sowie von 1983 bis 1987 als Referentin in der Zentralstelle Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz für den Bereich "Geistliches Leben, Geistliche Berufe, kirchliche Dienste". Von 1987 Kontaktperson seitens der Deutschen Bischofskonferenz für geistliche Berufe und kirchliche Dienste. 1991 ist sie zur Sekräterin der Bischöflichen Kommission für geistliche Berufe und kirchliche Dienste berufen worden.
Quellennachweis
www.medjugorje.hr