36 Jahre Medjugorje - Aufruf zu einem Leben mit Gott
Von Florian Heigl, Theologe und Doktorand der Mariologie
Bei meinem ersten Besuch in Medjugorje im Jahre 1997, ich war damals 12, jährten sich die (mutmaßlichen) dortigen Marienerscheinungen beinahe zum 16. Mal. In diesem Jahr feiern wir bereits den 36. Jahrestag dieses Phänomens. Vielen von Ihnen wird es vielleicht ähnlich ergehen: Man kann nur staunen, wie schnell ein Erscheinungsjahr um das andere vergeht. Eine so ungewöhnlich lange Zeitspanne in der die Muttergottes zu den Menschen kommt, birgt die Gefahr in sich, dass der außerordentliche Gnadenerweis des Himmels für uns schleichend zur Normalität wird und unsere christliche Sendung im Alltag an Kraft verliert. Der 36. Jahrestag kann uns darum Anlass sein, uns die nicht zu unterschätzende Bedeutung des Phänomens Medjugorje in Gottes universalem Heilsplan aufs Neue vor Augen zu führen. Ich möchte Sie gerne an ein paar theologisch-geistlichen Reflexionen teilhaben lassen, die mir im Hinblick auf das Verständnis von Medjugorje als fundamental erscheinen.
Die Heilsgeschichte – ein Werk der Barmherzigkeit Gottes
Die gesamte Heilsgeschichte Gottes mit der Menschheit ist genaugenommen ein einziges großes Werk der barmherzigen Liebe und unverbrüchlichen Treue Gottes. Aus Mitleid wendet Gott von jeher Sein Herz dem armen, in Sünde gefallenen Menschen zu. Mit „langem Atem" sucht er ihn, um ihn in Seiner Huld wieder aufzurichten und ihm gnadenhaft neues Leben, Anteil an Seinem göttlichen Leben zu schenken. Sein zutiefst liebendes Wesen erschließt Gott bereits dem Volk Israel am Berge Sinai, wo Er verkündet: „Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue." (Ex 34,6)
Die alttestamentlichen Propheten als Verkünder von Gottes Barmherzigkeit Mit den Propheten erwählt sich Gott später „Freunde", die Seinem Herzen besonders nahestehen. Sie sollen das auserwählte Volk Israel immer wieder aus der Abirrung in die Sünde heraus- und zu den erschlossenen Quellen des Lebens, den Geboten Gottes, zurückführen. Wenn wir in den Prophetenbüchern des Alten Testaments lesen, dann kann es durchaus passieren, dass wir über das ein oder andere prophetische Gerichtswort stolpern, das uns recht schroff erscheint. Wir stoßen auf so manche prophetische Anklage oder sogar Rebellion gegenüber Gott. Der Prophet Jona etwa sträubt sich mit allen Mitteln, um Gottes Erbarmen nur nicht den heidnischen Niniviten verkünden zu müssen. Nicht Umkehr und Heil durch Gottes Barmherzigkeit, sondern Gericht und Untergang wünscht er diesen großen Sündern.
Marienerscheinungen – heute ein prophetisches Phänomen
Seit Jona sind nunmehr über zweieinhalbtausend Jahre vergangen. Zweitausend Jahre ist es her, dass Gott selbst als der barmherzige Samariter zu uns gekommen ist und uns in Seinem Sohn wahrhaft den Weg vom Tod hin zum Leben erschloss. Mit dem Prophetendienst hat Gott nun, in der Zeit der Kirche, in besonderer Weise Seine Mutter betraut. Neben jedem anderen Christen soll vor allem Sie die Menschen zu Jesus führen.
Die seit dem christlichen Altertum bezeugten Marienerscheinungen haben im 19. Jahrhundert auffallend zugenommen. Vom frühen 20. Jahrhundert an laufen die marianischen Privatoffenbarungen auf ihren quantitativen und qualitativen Höhepunkt zu. Das Thema von Gottes Barmherzigkeit, in der die Menschheit zur Umkehr und einem neuen Leben in Christus aufgerufen wird, durchzieht das Marianische Zeitalter wie ein roter Faden und charakterisiert das Phänomen der Marienerscheinungen klar als ein prophetisches Geschehen.
Gottes Barmherzigkeit ist wie zarteste Mutterliebe
Aber warum schickt uns Gott heute gerade Maria? Das hebräische Wort, das wir mit „Barmherzigkeit" übersetzen, heißt rahamim und bedeutet wörtlich „Mutterschöße". Die barmherzige Liebe, die Gott für uns bereithält, ist – bei aller Begrenztheit menschlicher Sprache – am ehesten vergleichbar mit der Geborgenheit schenkenden, zutiefst vertrauten, zarten und friedvollen Liebe, die eine Mutter von Natur aus ihrem Kind entgegenbringt. So und noch viel wunderbarer dürfen wir uns vorstellen, was Gott uns gegenüber empfindet; und dies nicht nur gegenüber der Menschheit als Ganzem, sondern gegenüber jedem einzelnen Menschen persönlich. Ich bin Gottes über alles geliebtes Kind, Sein „Kindlein"; egal wie weit ich mich von Ihm auch entfernt haben mag oder was mir in meinem Leben an Leidvollem widerfahren ist: Er kann mich nicht verlassen, geschweige denn vergessen (vgl. Jes 49,15). Vor Seiner salbungsvollen und heilenden Mutterliebe, die Er für mich hat, wird jede noch so große Sünde und jedes noch so große von Menschenhand zugefügte Leid klein. Seine Mutterliebe ist heller als die größte Dunkelheit, Sonne, salbungsvoller als der größte Schrecken, der meinem verwundeten Herzen innewohnt alle Festhochämter zusammen. Sich dieser Liebe nun zu öffnen und sie Tag für Tag, am besten mehrmals, zu kommunizieren, ist im tiefsten Erlösung und der Königsweg unserer inneren Heilung und wahren Heiligung.
Maria, unsere Mutter, als Verkünderin von Gottes barmherziger Liebe
Die universale Verkündigung Seiner zartesten Mutterliebe hat Gott in einzigartiger Weise Maria übertragen. Aus ihrem Mutterschoß nahm der Sohn Gottes unsere Menschennatur an. Als Christus schließlich zu unserem Heil am Kreuz starb, gab Er uns Maria zur Mutter, auf dass auch wir durch Ihre mütterliche Mithilfe zum neuen Leben in Gott geboren werden. Im Unterschied zu allen anderen Propheten des Alten und Neuen Bundes ist die unbefleckte, gnadenvolle Jungfrau Maria das vollkommene menschliche Abbild der Barmherzigkeit Gottes. In Ihrem zarten und mitleidvollen Antlitz spiegelt sich Gottes ganze mütterliche Sorge um unser Heil wider; eine Sorge, die Maria in Ihrem Herzen voll und ganz teilt. Der Marientitel „Mutter der Barmherzigkeit" beinhaltet also einen sehr tiefen Sinn.
Botschaften mütterlicher Liebe
Nun, sind nicht die Botschaften von Medjugorje ganz besonders von zarter Mutterliebe durchtränkt? An diesem Ort spricht Maria die Sprache des Herzens, die direkt an unser Herz ergeht, auf dass es sich dem Frieden Gottes öffnet. Ihre praxisorientierten Übermittlungen zeichnen sich durch eine Weite aus, die der Liebe Gottes vorzüglich entspricht und die Menschheit in die echte Freiheit der Kinder Gottes führt. Maria diktiert kein penibles Gebetsprogramm, Sie lädt uns ein, unseren Alltag in ein beständiges Leben mit Gott umzuwandeln, wodurch wir das Leben unserer Mitmenschen immer und überall zu erhellen vermögen. Maria hilft uns, Ihren Sohn kennenzulernen, der sich uns im lebendigen Wort der Heiligen Schrift und in Seinem eucharistischen Leib ganz schenken und mit Seinem Geist erfüllen will. Im Empfang des Bußsakraments darf unser ganzes Leben persönlich und „hautnah" mit der Barmherzigkeit Gottes in Berührung kommen; wir dürfen Gottes zarte, verzeihende und versöhnende Liebe, Sein Verständnis für unsere Schwäche und Seine echte Hilfe erfahren – ein Erleben, ohne das wir unmöglich unseren Mitmenschen die wahre Barmherzigkeit Gottes bezeugen könnten. Und schließlich lädt uns Maria zu einem wohl dosierten Fasten – fern von einem nur allzu problematischen Opferrigorismus – ein; einem Fasten, das uns noch mehr in die Fülle Gottes hineinwachsen lässt.
Medjugorje – Erweis von Marias geistlicher Mutterschaft und Gottes siegreicher Barmherzigkeit
Dass Maria 36 Jahre lang Tag für Tag erscheint, ist in der Geschichte der marianischen Privatoffenbarungen einzigartig. Nach Medjugorje kommt Maria, in Ihrer Erwählung zu unserer geistlichen Mutter, spürbar. In Ihrer ausgestreckten Hand sehen wir die ausgestreckte Hand unseres Gottes, der sehnlichst danach verlangt, der Menschheit das zeitliche und ewige Heil zu schenken. Wir für unseren Teil müssen uns vor allem von Maria an die Hand nehmen lassen. Ihr „langer Atem", den sie uns seit 36 Jahren so eindrucksvoll demonstriert, wird schließlich in meinem persönlichen Leben, aber auch in der Welt Erfolg haben. Diese hoffnungsvolle Verheißung, die unser Herz mit Zuversicht und Freude erfüllt, sollten wir anlässlich des Jahrestages neu annehmen. Wenn Maria auch immer wieder auf den apokalyptischen Ernst unserer geschichtlichen Stunde aufmerksam macht, so liegt Ihren Botschaften doch jede Form der apokalyptischen Verunsicherung, Angst oder Panikmache fern, mit der die Falschprophetie so gerne arbeitet. Die Botschaften von Medjugorje atmen den Frieden Gottes und dürfen unseren Blick gerade im Jahr des großen Fatima Jubiläums auf den „Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens" lenken. Dieses geschichtliche Heilsereignis hat Maria 1917 in Fatima verheißen und in Medjugorje mit den Worten bekräftigt: „Was ich in Fatima begonnen habe, werde ich hier vollenden. Mein Unbeflecktes Herz wird triumphieren." Wenn wir heute auf 36 Jahre Erscheinungen zurückschauen und uns der vielen Früchte bewusst werden, die Medjugorje hervorgebracht hat, dann dürfen wir dankbar erkennen, dass sich dieser Triumph der barmherzigen und heilenden Liebe Gottes tatsächlich, wenn auch durch vielerlei Stürme hindurch, Schritt für Schritt in Kirche und Welt verwirklicht.
Die wahren Kinder Gottes unserer Zeit Der 36. Jahrestag soll für uns ein Tag der Dankbarkeit sein: dass Gott nicht müde wird, uns in Seiner großen Liebe zu suchen, und dass Er uns niemanden geringeren hilfreich zur Seite stellt als Seine eigene Mutter, die uns mit Sanftheit und Ausdauer in den sicheren Hafen des Heiles führen wird. Wem aber so viel Liebe erwiesen wurde, der muss auch seinen Mitmenschen viel Liebe entgegenbringen. Die Weite, Zartheit und Langmut der barmherzigen Liebe Gottes mit der wir durch Maria beschenkt werden, soll auch unser Leben immer mehr prägen. Dann sind wir wahre Kinder Marias und wahre Kinder Gottes im Heute des 21. Jahrhunderts.
Quelle: medjugorje aktuell, Heft 110