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Fasten und Dankbarkeit

Dankbarkeit ist die innerliche Einstellung eines Menschen, der sich tief in seinem Inneren als ein Geschöpf Gottes erlebt, und auch dessen bewusst ist, dass er über sein Leben nicht verfügt, sondern, dass ihm sein Leben und alles, was er hat, geschenkt wurde. Aus dieser Einstellung geht eine andere hervor, und zwar die Verantwortung vor demjenigen, der ihm alles gegeben und anvertraut hat. Wer sich im Klaren ist, dass alles, was er besitzt, eine Gabe ist, wird fähig sein, mit diesen Gaben anderen Menschen zu dienen und für die erhaltenen Gaben verantwortlich zu sein.  Zur Dankbarkeit gehört auch die Freude, anderen zu dienen, aber auch die Freude daran, dass andere über die Gabe verfügen, dass sie dienen können. Alle Gaben, die der Mensch erhalten hat, sind ihm anvertraut, aber immer wegen der anderen. Deshalb haben unsere persönlichen Gaben ohne Dienen keinen Sinn, wie auch das in die Erde vergrabene silberne Talent, das der Diener aus Angst versteckt und später seinem Herrn zurückgegeben hat. Er hat die Gabe weder verloren noch verschmutzt oder beschädigt: Das, was er erhalten hat, hat er auch zurückgegeben, und darin liegt auch seine Schuld (vgl. Mt 25, 14-30). Aus dem Gesagten ist ersichtlich, dass Dankbarkeit die Folge des Glaubens ist, weil uns der Glaube lehrt, dass wir erschaffen wurden und dass uns alles anvertraut wurde.

Zur Dankbarkeit gehört auch die Demut. Ohne Demut ist es unmöglich, von Dankbarkeit als einer Einstellung zu sprechen. Der deutsche Ausdruck Demut besteht aus dem Wörtern „Mut“ und „dienen“, und der lateinische Ausdruck humilitas kommt vom Wort „humus“, die beste Erde, was auf die menschliche Mitarbeit mit Gott hinweist, weil der Mensch sein Herz vorbereitet, damit die Gaben wachsen und den anderen dienen können. Hochmut und Egoismus können als tödliche geistige Viren angesehen werden, bei deren Vorhandensein der Mensch sich selbst als einen unabhängigen Herrn seiner Gaben betrachtet und den anderen nicht dienen möchte, sondern will, dass andere ihm dienen. Das ist die vollständige Undankbarkeit. Wenn der Mensch fastet und betet, wird sein Herz von jeder Sklaverei zu seinen Gaben, aber auch zu den anderen Menschen und der Welt befreit. Durch Fasten und Gebet befreit sich der Mensch von sich selbst, gewinnt den Raum seiner inneren Freiheit und in ihm kann er klar seine Wahrheit erkennen und sie leben. In dieser Freiheit nimmt der Mensch wahr, was Gott alles für ihn tut und vergisst das nicht. Genauso erkennt er das, was andere Menschen für ihn tun – sowohl große als auch kleine Dinge. „Fasten hilft dem Menschen, sich selbst als denjenigen zu erleben, der Gaben erhalten hat. Der Mensch opfert seine ersten Erträge und schafft im Gebet Raum und Zeit für Gott!“

Ein dankbarer Mensch ist deshalb der Mensch des Friedens, der in seinem Herzen Freude und Hoffnung trägt. Er wird nie enttäuscht sein, weil er von den anderen nichts erwarten wird und wird alles für sie tun. Wenn man Undankbarkeit im Herzen trägt, dann kann es weder Frieden noch Freude geben, weil einem egoistischen und hochmütigen Menschen niemand je genug dienen kann, weder Gott noch der Mensch. Er wird immer mehr von den anderen verlangen und wenn er das nicht bekommt, wird er enttäuscht sein; aus der Enttäuschung heraus entsteht Gewalt, Nervosität und alles andere Übel. Jede Sünde ist eigentlich eine Folge der Undankbarkeit, bzw. eine Folge des Egoismus und des Hochmuts. Wenn der Mensch nicht sieht, was Gott für ihn tut und für ihn bedeutet, wendet er sich zu sich selbst und zu der Welt. Ein undankbarer Mensch ist vergesslich, was bedeutet, dass er alles Gute nur wegen einer Situation vergessen kann, die ihm nicht gefällt.

Wenn wir die erste Sünde von Adam und Eva betrachten, werden wir leicht Vergesslichkeit und Undankbarkeit erkennen. Gott hat dem Menschen die Bedingungen für ein glückliches Leben geschaffen. Dem Menschen wurde auch ein Verbot ausgesprochen – nicht zu vergessen, dass er ein Geschöpf ist, dass er einen Herrn hat. Der Versucher hat Evas Blick von all dem abgewandt, was sie hatte und besaß, was sie berühren und speisen durfte, und hat ihre Augen für das geöffnet, was sie nicht hatte und nicht haben durfte. Das Gespräch zwischen dem Versucher und Eva stellt eine klassische Situation dar, wie die Sünde entsteht. Die erste Reaktion Evas war gut: „Gott hat gesagt, dass wir das nicht berühren dürfen“. Der Versucher bedient sich der Frage, die in jeder Sünde enthalten ist. „Wer ist dieser Gott, dass er dir das verbietet?“ Eva vergisst alles, was sie besitzt, greift mit ihrer Hand nach dem, was sie nicht besitzt – und es entsteht die Sünde. Welches Glück, wenn Eva gesagt hätte: „Ich berühre zuerst alles, was mir erlaubt ist, und danach  tue ich auch das Verbotene“; dann hätte der Versucher den Moment des Verstoßes nicht erlebt, weil so vieles erlaubt war (vgl. Gen 3, 1-7).

Wenn der Mensch blind für die Taten der andern wird, und nicht sieht, was z.b. die Ehefrau, der Ehemann, die Eltern, die Kinder für ihn tun, sondern nur das bemerkt, was nicht getan wurde, befindet er sich im Zustand der Vergessenheit und Blindheit und öffnet sich der Sünde. Wenn wir nicht vergessen würden, was unsere Eltern für uns getan haben, gäbe es nie Konflikte zwischen den Eltern und den Kindern! Wenn der Mann nicht vergessen würde, was die Frau für ihn tut und umgekehrt, gäbe es keine Scheidungen! Wenn wir gegenseitig Anerkennung und Lob aussprechen könnten für das, was getan wurde, würden wir gemeinsam in Freude und Frieden leben.  Stellen wir uns eine Situation in der Familie vor: Wenn die Familienmitglieder abends nach Hause zurückkehren, wo die Mutter den ganzen Tag im Hause gearbeitet hat, und wenn sie bemerken, was sie gemacht hat und ihr dafür danken, werden alle von Freude erfüllt; wenn sie aber zuerst bemerken, was nicht getan wurde und mit Vorwürfen und Tadeln anfangen, kommt es zu Rechtfertigungen, Angriffen und Verteidigungen, was wiederum zu Unruhe, Trauer und Auseinandersetzungen führt.

Die goldene Regel jeder Erziehung ist gerade die Dankbarkeit: das Gute bei den anderen zu sehen und anzuerkennen. Ein deutsches Sprichwort sagt: „Wenn man anstatt tadeln loben würde, könnte man jeden Tadel ertragen!“ Oft benehmen wir uns wie ein Lehrer in der Schule, der zuerst nach Fehlern sucht, um sie danach mit einem Rotstift zu unterstreichen, damit sie bemerkbarer werden. Ich finde das nicht falsch, aber vielleicht wäre es besser, das Richtige zu unterstreichen, damit man die Fehler leichter akzeptieren kann. Wer nur auf die Fehler reagiert, verliert jede Autorität bei der kritisierten Person. Negative Reaktionen führen aber bei vielen Menschen zu verschiedenen Komplexen, Unsicherheit und zur Vorstellung, dass ihr Leben wertlos ist, und zwar nur deshalb, weil andere den Wert ihrer Arbeit nicht anerkennen. Solche Vorstellungen können sich negativ auf das ganze Leben dieser Person auswirken.

Um ein Verhältnis voller Dankbarkeit zu Gott und zu den Menschen zu entwickeln, müssen wir uns zum Fasten entscheiden. Mit dem Fasten beginnt der Reinigungsprozess und wird auch fortgesetzt, und eine reine Seele so wie ein reines Herz können sowohl Gott als auch die Menschen besser sehen, die anderen leichter erkennen und anerkennen, und dankbar sein. Wenn der Mensch die innere Freiheit erlangt, wird er fähig, Gutes zu tun und sogar sein materielles Gut mit anderen zu teilen, weil er gut einschätzen kann, was er besitzt und auch gut unterscheiden kann, was er tatsächlich braucht, und was er den anderen geben kann. Deshalb werden von fastenden Personen auch gute Taten erwartet. Gute Taten sind die Frucht des Fastens und des Gebetes, deshalb können Fasten und Gebet nicht durch sie ersetzt werden, wie es leichthin gesagt wird. Wenn der Prophet vom Fasten spricht, dass Gott nicht gefällt, dann tadelt er das egoistische Benehmen gegenüber den anderen. Jesaja sagt: „Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen“ (Jes 58, 6-8).

Bei der Dankbarkeit handelt es sich also nicht so sehr um das ausgesprochene Wort „Danke“, sondern um die richtigste Einstellung, die der Mensch zu sich selbst als dem Geschöpf und zu allen seinen Gaben, zu Gott als Geber, zu den anderen und zu den materiellen Dingen haben muss. Wenn wir die Einstellung Jesu zur Dankbarkeit betrachten, wird ersichtlich, dass sein ganzes Leben auf Danksagung zum Vater beruht. „Beim Abendmahl und Kreuz entdeckt Jesus die Erleuchtung seines ganzen Lebens und seines Todes: Danksagung dem Vater aus dem Herzen seines Sohnes. Es sind Leiden und Tod notwendig, damit der Vater verherrlicht wird (vgl. Joh 17, 1). Sein ganzes Leben ist die Danksagung, die manchmal ausdrücklich und festlich ist, damit sie die Menschen gewinnt zu glauben und mit ihm Gott zu danken (vgl. Joh 11, 42)“

Deshalb wird ein dankbarer Mensch zu einem Menschen des Gebets, und in dem Sinne kann auch der Aufruf zur dauernden Dankbarkeit oder zum dauernden Gebet begriffen werden. Für den heiligen Paulus ist das christliche Leben Danksagung (vgl. Röm 1, 8; 1Thess 3, 9 usw).  Die Dankbarkeit auf der Erde verwandelt sich in die ewige Dankbarkeit im Himmel. Ich werde nie das Zeugnis einer der Seherinnen gerade im Zusammenhang mit dieser Frage vergessen. Als sie bezeugt hat, dass ihr die Muttergottes das Paradies gezeigt hat, wurde ihr die Frage gestellt: „Was wird im Paradies gemacht?“ Sie hat geantwortet. „Im Paradies dankt man, und wir werden die ganze Ewigkeit für diese Dankbarkeit brauchen, wenn wir all das sehen, was Gott für uns getan hat!“.

Quellenangaben: Text aus dem Buch "Mit dem Herzen fasten" von Pater Slavko Barbaric. Das Buch können Sie gerne bei der www.gebetsaktion.at/shop/pater-slavko-barbaric-mit-dem-herzen-fasten/ bestellen.