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Warum eigentlich solche Aufregung?

Warum können wir nicht ruhig und sachlich über ein Phänomen diskutieren, das sich vor unseren Augen abspielt? - Ein Gastkommentar des Bibelwissenschaftlers P. Dr. Ivan Dugandzic zu den Ausführungen von Prof. Manfred Hauke über Medjugorje

Obwohl ich als Priester mehrere Jahre in Medjugorje gewirkt habe (1985-1988) und die dortigen Ereignisse nach wie vor mit regem Interesse und großer Aufmerksamkeit verfolge, fällt es mir immer schwer in den Medien darüber zu diskutieren, weil solche Diskussionen leicht zu einer bissigen und nichtsbringenden Polemik entarten.

Deshalb finde ich es gut, dass Professor Hauke seine Antwort an Herrn Müller als „Aufruf zur Sachlichkeit“ betitelt hat. Daran anknüpfend, möchte ich meinen bescheidenen Beitrag in Form von Klärungen einiger Tatsachen und theologischer Sachverhalte leisten. Um Klartext zu sprechen, beabsichtige ich mit diesem Text weder eine Apologie der Meinung von Thomas Müller - wiewohl ich oft den Eindruck habe, dass manchen Medjugorjekritikern jedes Mittel recht ist - noch eine Polemik zu den Behauptungen vom Professor Hauke. Statt dessen möchte ich auf einige schwache Punkte in seiner Argumentation eingehen.

Wenn man die „Erklärung“ vom Bischof Perić anlässlich des Besuches vom Kardinal Schönborn in Medjugorje und dem Echo, welches sie in der Öffentlichkeit ausgelöst haben, betrachtet, muss man sich fragen: Warum eigentlich solche Aufregung? Warum können wir nicht ruhig und sachlich über ein Phänomen diskutieren, das sich vor unseren Augen abspielt? Die offizielle Kirche gibt uns jedenfalls nicht nur die Möglichkeit dazu, sondern sie lädt uns mit der Erklärung von Zadar aus dem Jahre 1991 dazu ein. Diese Erklärung geht davon aus, dass in jetziger Phase der Erscheinungen noch nicht das letzte Urteil über sie gesprochen werden kann. So lässt die Kirche diese Ereignisse weiter laufen, weil sie nur so kritisch geprüft werden können.

Bischof Perić legt seinerseits diese Erklärung immer im Sinne eines negativen Urteils über die Erscheinungen aus, womit er die weniger informierte Menschen in die Irre führt. Darauf habe ich in meiner Stellungnahme zu seiner „Erklärung“ hingewiesen. Sie ist in diesen Tagen im Monatsblatt von Medjugorje „Glasnik mira“ veröffentlicht worden. Da die Redaktion von der Gebetsaktion Medjugorje Wien diesen Text im nächsten Heft bringen wird, werde ich nichts davon hier wiederholen, sondern mich auf manche andere wichtige Dinge konzentrieren.

Was wissen wir über Erscheinungen und Visionen im Allgemeinen?

Ich wundere mich immer wieder über die Sicherheit und Entschiedenheit mit der manche Theologen über solche übernatürliche Phänomene wie Erscheinungen und Visionen sprechen. Als ob es für sie überhaupt kein Rätsel und kein Geheimnis darin gäbe. Sie berufen sich dabei oft ganz pauschal auf die Bibel, offensichtlich nicht genug wissend, dass es gerade in der Bibel diesbezüglich viele Schwierigkeiten gibt, vor denen wir bescheiden unser begrenztes Begreifen zugeben müssten.

In der Bibel begegnen wir immer wieder tiefen Erfahrungen der Menschen mit Gott und mit ihren subjektiven Interpretationen dieser Erfahrungen. Nur so kann eine Erfahrung den anderen vermittelt werden. Es ist ein uralter philosophischer Grundsatz, dass jeder Mensch bei dem, was er erfährt, diese auf seine eigene Weise erfährt. Wir können hinzufügen: Und auf seine eigene Weise interpretiert. Es wundert mich sehr, dass Professor Hauke diese Subjektivität für suspekt hält. Besonders ist mir sein Vergleich mit Computer völlig fremd und abwegig: „Es ist im Grund ähnlich wie bei einem Dateinamen im Computer: ein einziger Fehler beim Schreiben des Dateinamens verunmöglicht den Zugang zur Datei.“ Mit einem solchen Zugang kann man die ganze Bibel für suspekt erklären.

Ein Beispiel aus dem Neuen Testament
Der Glaube der Jünger an die Auferstehung Jesu stützt sich auf das Zeugnis der Frauen, die sein Grab besucht haben. Was haben sie im offenen Grab gesehen: „einen Engel es Herrn“ (Mt 28,2), „einen jungen Mann“ (Mk 16,5), oder „zwei Männer“ (Lk 24,4). Was haben sie dabei gehört: „Ihr such Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten“ (Mk 16,6) oder: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5)? Was sollen wir in diesen ganz offensichtlich unterschiedlichen Formulierungen sehen: eine subjektive Interpretation der eigenen Erfahrung oder eine Fälschung? Das hat die ersten Christen nicht im Kleinsten gestört. Statt peinlich nachzugrübeln, wie es wirklich war, haben sie mit Freude die Botschaft weiter verkündet und für sie Zeugnis abgelegt. Die Frucht war das blühende Leben der Urgemeinde.

Ähnliches kann man von den Evangelisten sagen, als sie Jahrzehnte später ihre Evangelien verfasst haben. Die geschichtliche Genauigkeit war ihnen wichtig, aber noch wichtiger waren Verkündigung und theologische Interpretation des Geschehenen im jeweiligen Kontext. Wie anders können wir zum Beispiel verstehen, dass Jesus seinen Jüngern verbietet zu den Heiden zu gehen (Mt 10,5), während sie vom Auferstandenen zu allen Völkern ausgesandt werden (28,19)? Der Evangelist hat nicht einmal versucht diese beiden Aussagen irgendwie auszugleichen. Aber im Rahmen seiner Theologie haben sie einen klaren Sinn. Die Reihe solcher Beispiele lässt sich leicht fortsetzen.

Warum sollte es heute anders sein?
In diesem Lichte kann ich schwer verstehen, dass Professor Hauke als seinen Kronzeugen gegen die Glaubwürdigkeit der Seher in der ersten Tagen „das Werk des in Medjugorje geborenen Franziskanerpaters Ivo Sivrić“ anführt. Vielleicht deshalb, weil P. Sivrić nach dem „Computer-Modell“ bei seinen Untersuchungen vorgegangen ist. Kurz bevor ich damals sein Buch bekam, habe ich das ausgezeichnete Buch von K. Rahner „Visionen und Prophezeiungen“ (QD 4) gelesen. Im Lichte dessen, was ich bei Rahner las, musste ich über die theologische Naivität von P. Sivrić lächeln.

Ein Bibelwissenschaftler kann offenbar etwas unbefangener und somit leichter mit diesen Phänomen umgehen als ein Dogmatiker. Die ganze Bibel gibt Zeugnis davon, dass Gott sich nicht festlegen lässt. Der Mensch kann nicht über ihn verfügen. Er handelt immer überraschend und anders als wir es erwarten. Zweitens handelt er immer mit den Menschen aus Fleisch und Blut, so wie sie sind. Die Bibel kennt keine vollkommene Menschen. Mit dem Menschen, den er in seinen Dienst ruft akzeptiert Gott auch seine Schwächen. Das einzige was er verlangt, ist dass der Mensch seinen Ruf akzeptiert und sich in seinen Dienst stellt. Genau das können wir auch an den Sehern von Medjugorje beobachten. Ihre Grenzen im Begreifen und in der Interpretation der Botschaften sowie Schwächen in ihrem praktischen Leben sind kein Hindernis, dass sie „liebe Kinder“ genannt werden. Sie waren von Anfang an zum Dienst bereit, allen Hindernissen zu Trotz. Die Früchte ihres Dienstes sprechen für sich.

Pater Dr. Ivan Dugandzic ist Professor für Neues Testament und ehemaliger Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Zagreb

Zagreb (kath.net) 22. Februar 2010