30 Jahre unter dem Mantel der Gospa
Interview mit Mag. Marija Stelzer - 2011
Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen, als durch die Pfarre Medjugorje und die nahegelegenen Dörfer die Nachricht erklang, dass die Gospa einigen Kindern auf dem Podbrdo in Bijakovici erscheint. Diese Nachricht löste ganz unterschiedliche Reaktionen bei den Menschen aus - die einen empfingen sie ganz offen und freuten sich darüber, die anderen waren reserviert bis skeptischen, uninteressiert oder ängstlich.
Aber wir alle, unabhängig davon, was jeder dachte, waren gleich betroffen und von Fragen überflutet, was da in Wirklichkeit geschieht und was die Hintergründe sind; und wie ernst uns das war, wie lange das dauern würde, was sich in der näheren Zukunft dadurch ereignen und was daraus wachsen würde. Im Sommer 1981 schien uns, als ob die Zeit für alles andere stehen geblieben wäre. Die Geschehnisse mit der Gospa rückten ganz in den Mittelpunkt. Die Frage, ob vielleicht schon die letzten Zeiten in der näheren Zukunft anbrechen würden, ob die Zeit der Ernte für die Welt vor uns steht, erfüllte die Herzen und Gedanken von uns allen. Die Menschen begannen, sich rasch zu ändern, freilich manche auch mit einer Portion Angst. Die Pfarrangehörigen versöhnten sich untereinander und begannen ihren Rückweg zum sakramentalen Leben und zum Familiengebet, und fingen allmählich auch an, Pilger von anderen Orten und Ländern in ihren Familien gratis aufzunehmen.
Und während wir alle darüber nachdachten, mehr oder weniger geistvoll, und Medjugorje mit anderen, uns bekannten Erscheinungsorten verglichen, berechneten wir die Zeiten, wie lange die Gospa noch unter uns bleiben würde. Doch sie kam einfach und mütterlich, Tag für Tag. Und auf die Frage des Sehers Ivan, wie lange sie noch unter uns sein wird, antwortete sie sinngemäß mit der Gegenfrage, ob sie uns schon lästig geworden sei. Aus dieser Antwort konnten man erahnen, das der Plan Gottes für Medjugorje anders ist als für die anderen, bekannten Erscheinungsorte.
Gott hat offensichtlich durch seine Auserwählten aus unserer Pfarre einen ganz bestimmten Plan vor. Mehrere Male erinnerte uns die Gospa in ihren Botschaften, wie wir als Pfarre, und jeder einzelne von uns, sehr wichtig für diesen Plan sind. Einmal, ganz am Anfang, erinnerte sie uns daran, die älteren Menschen aus der Pfarre zum Gebet aufzurufen, und sie erinnerte uns, dass diese ein Segen für uns sind. Uns Jugendliche rief sie auf, ein Zeugnis des Glaubens abzulegen, vor allem vor jenen, die zu uns nach Medjugorje kommen. Sie wollte zuerst uns, als Pfarre, zum Gebet und Fasten, zur Bekehrung und Versöhnung, zum sakramentalen Leben ermutigen. Besonders hat sie uns zum freudigen Mitfeiern der hl. Messe eingeladen, und das nicht nur am Sonntag. Als Pfarre lud sie uns zur Eucharistischen Anbetung und zur Verehrung des Kreuzes ein, zur Lesung der hl. Schrift, zum täglichen Rosenkranzgebet, persönlich und als Familie. Denn vieles von dem war vergessen worden oder uns überhaupt unbekannt.
Mit einem Wort: Die Gospa bemühte sich, unsere Herzen für Gott und für den Himmel zu öffnen. Sie wies uns auf eine höhere Wirklichkeit, auf eine frohe Nachfolge ihres Sohnes hin, besonders dann, wenn Prüfungen wie Krankheit und seelisches oder körperliches Leid kommen, und wenn der Tod naht. Einmal sagte sie uns, sie möchte, dass in unseren Familien die Heiligkeit geboren werde, und dass wir, einer dem anderen, in unseren Familien uns gegenseitig zur Hilfe in unserer gemeinsamen Anstrengung für die Heiligkeit werden. In diesem Ruf zur Heiligkeit zeigt uns die Muttergottes ihre Entschlossenheit in dem, was sie mit uns vor hat, und gleichzeitig verrät sie uns, warum sie so lange unter uns bleibt. Sie möchte uns heiligen - das ist der Kern und der Grund ihres Kommens zu uns. Sie möchte die Heiligkeit nicht nur für gottgeweihte Personen in der Kirche, sondern sie wünscht die Heiligkeit aller Getauften - gerade das also, wozu uns die Kirche im 2. Vatikanischen Konzil einlädt, und was sich die Kirche selbst als Aufgabe gab: die Heiligkeit für alle zu betonen.
Das war für uns alle eine besondere Botschaft, durch die wir erkannten, dass wir auch als Laien zur Heiligkeit berufen sind. Denn so weit mir bekannt ist, hat niemand vorher zu uns in dieser Weise über die Heiligkeit gesprochen. Es schien uns, als wären uns mit diesem Aufruf der Gospa die Schuppen von den Augen gefallen. Sie hat uns damit unsere Würde der Kindschaft Gottes auf neue Weise nahe gebracht. Und sie wollte, dass wir als Kinder Gottes das erfüllen, was wir durch die Taufe mitbekommen haben: unsere gelebte Sohnschaft Gottes. Und das, denke ich, ist auch notwendig für ein erfülltes Zusammenleben auf dieser Erde.
Die Menschen haben sich so weit von Gott entfernt und dienen verschiedenen Gottheiten. So zeigt uns die Gospa, dass es notwendig ist, einen anderen Pol mit heiligmäßigen Menschen zu aktivieren. Es sind heilige Familien und heiligmäßige religiöse Ordensgemeinschaften heute notwendig. In diesen Botschaften, die an jedem 25. des Monats von der Muttergottes zu uns kommen, und die Millionen Menschen als einen Ruf des Himmels und eine Einladung zur Heiligkeit angenommen haben -, in diesen 30 Jahren erneuert die Gospa unsere Kirche und unsere Welt. Medjugorje ist sozusagen wie ein Losungswort für das Übernatürliche und das Heilige geworden, für das ernsthafte Verständnis des Glaubens, nicht nur in der Katholischen Kirche, sondern auch für Menschen anderer Konfessionen und Religionen und für unzählige Menschen guten Willens, die auf ihre Art glauben, dass diese Welt nicht aus sich selbst bestehen kann, sondern auf jede Hilfe und Anregung von Gott angewiesen ist.
In diesen 30 Jahren, in denen ich die Botschaften der Gospa lese und betrachte, diese Worte, die in sich die Botschaft des Evangeliums tragen und uns diese auf mütterliche Weise näher bringen möchten, erkenne ich immer wieder, welcher Trost, welche Erleuchtung und Hoffnung in ihnen steckt. Ich persönlich nehme von Zeit zu Zeit die Botschaften zur Hand und betrachte dann mehrere auf einmal. Dabei erfüllt mich immer ihre besondere mütterliche Wärme und Liebe und gibt mir Freude und Kraft, auf dem Weg der Bekehrung und Heiligkeit zu gehen. Manchmal, während ich so die Botschaften lese, erlebe ich sie, als ob ich durch einen wunderschönen Blumengarten spazieren würde, in dem Blumen mit verschiedenen Farben und Düften mein Leben bereichern, fröhlicher und dankbarer machen. Ich bin so dankbar für jeden Moment, den ich in der Gesellschaft dieser Botschaften verbracht habe, gerade in Zeiten, in denen ich besondere Erleuchtung und Hilfe in schwierigen Lebenssituationen brauchte. Nach der Hl. Schrift sind diese Botschaften meine allerliebste spirituelle Lektüre, denn sie helfen mir wie kaum andere geistliche Anweisungen, mich für Gott zu öffnen, und sie inspirieren mich zu einem konkreten christlichen Leben. Während ich sie zu leben versuche, denke ich manchmal, dass es bedauerlich ist, wenn Theologen sich in progressive oder konservative aufteilen, und auf diese Art dem gläubigen Volk Schaden zufügen, wenn sie es durch ihre Diskussionen und ihre vermeintlich intelligenten Behauptungen desorientieren.
Die Muttergottes zeigt uns den Weg zu Gott durch die sogenannten „kleinen“ Menschen und sie baut die Brücken der Liebe in gegenseitigem Respekt, sogar auch außerhalb der christlichen Welt. Denn in Medjugorje bezeugen nicht selten auch Angehörige von anderen Religionen, dass sie sich dort wohl fühlen und sich von „etwas“ nach Medjugorje gezogen fühlen.
Da ich schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr in Medjugorje lebe, scheint mir, dass ich die Auswirkungen der Erscheinungen der Muttergottes und ihres Kommens unter uns von Ferne noch mehr sehen und schätzen gelernt habe.
Wenn ich manchmal die Sehnsucht nach meiner Heimat fühle, tröstet mich der Gedanke, dass ich auch in der Großstadt, in der ich lebe, viele Freunde, „Kinder der Gospa“ habe, mit denen ich meine Glaubenserfahrungen und mein Leben teilen darf. Das finde ich ein besonders großes Geschenk der Gospa, die unsere Geschwisterlichkeit als Christen noch mehr vertieft und einen dem anderen durch ihre mütterliche Liebe, die sie für jeden von uns zeigt, anvertraut.
Wenn dann jemand von den Freunden gerade aus Medjugorje zurückkommt oder sich freudig auf Medjugorje vorbereitet, erfüllt mich jedes Mal große Dankbarkeit für dieses familiäre Gefühl der Zugehörigkeit zu Medjugorje durch die Gospa. Der Franziskanerpater Dr. Ivan Dugandzic sagt, dass Medjugorje nicht eine Bewegung in der Kirche, sondern die Kirche in Bewegung ist. Und das ist der weit offene Mantel unserer Himmlischen Mutter, dessen wir uns durch die Erscheinungen in Medjugorje wesentlich mehr bewusst geworden sind und wofür wir Gott sehr dankbar sind.
Jedes Mal, wenn ich nach Hause zu meiner geliebten Familie in Medjugorje und zu meinen Freunden komme, spüre ich besonders große Freude, wieder einmal zur Gospa zurück zu dürfen, wieder einmal auf die Berge - den Erscheinungsberg und Kreuzberg -gehen zu können, die vom unentwegten Gebet, von den Tränen und dem Schweiß so vieler Gläubiger aus der ganzen Welt getränkt sind; wieder einmal in unserer Kirche sein zu können, in der schon Millionen von Menschen den Zugang zur Eucharistischen Anbetung geschenkt bekommen haben. Es ist ein einmaliges Gefühl, so eine Heimat zu haben, in der sich jeder, der dorthin kommt, sehr rasch zu Hause fühlt, weil er die Anwesenheit der Mutter verspürt.
Das Bild unserer Pfarre hat sich in diesen 30 Jahren sehr verändert, auch durch das schnelle, planlose Bauen vieler neuer Häuser. Das schmerzt manchmal. Andererseits ist das vielleicht auch ein Teil des Kreuzes der Auserwählung, das die Bewohner von Medjugorje zu tragen haben. Denn die Pfarre ist eingeladen, für andere da zu sein, ein Zeugnis für den Eingriff des Himmels abzulegen und den vielen Pilgern zu ermöglichen, eine Zeit in dieser Oase des Friedens zu verweilen. Als solches liebe ich noch mehr meine Heimatpfarre und bete für sie und danke mit ihr und den Millionen Menschen, die aus der ganzen Welt kommen, für alle Gnaden, die uns durch die Gospa geschenkt wurden.
Quellennachweis: www.oasedesfriedens.at