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Das Weihnachtsgeheimnis im Herzen bewahren

In unserer christlichen Spiritualität gibt es wirklich eine Möglichkeit, das, was Weihnachten bedeutet, "heute" zu erleben. Das geschieht, indem man eine Betrachtung hält. Was ist das?

Als ich Pfarrer war, hatte ich einen absolut stressfreien Heiligen Abend, denn die Krippenlegung für die Kinder war am späten Nachmittag, die Mette dann erst – so wie es sich gehört – in der Mitte der Nacht. Mette kommt ja von Mitte, denn mit der Mitte der Nacht beginnt auch schon der neue Tag, das aufstrahlende Licht nähert sich unaufhaltsam. Jedenfalls hatte ich einige Stunden Zeit, anfangs ließ ich mich in Familien einladen, später nicht mehr, weil ich die Zeit für Wertvolleres nützen wollte: Ich wollte den Heiligen Abend mit der Heiligen Familie verbringen, mit Maria und Josef, mit dem Jesuskind, aber auch mit den Hirten. Nein, ich bin nicht verrückt, und nur manchmal sentimental. Damals zu Weihnachten war ich es auf jeden Fall. Es ging alles ganz nüchtern: Ich kniete mich, während rundherum in den Häusern die Familien den Festbraten aßen, Weihnachtslieder sangen und Geschenke auspackten, in meiner Dorfkirche nieder, mit Blick auf das Jesuskind. Und dann ließ ich meine Gedanken einfach fliegen und stellte mir vor, dass das, was damals war, nun wirklich „heute“ ist und in mein Leben hineinreicht. Das nennt man „Betrachtung“. „Betrachtung“ ist eine Art Filmvorführung des Heiligen Geistes in der Phantasie unseres Herzens.

Probieren sie es doch einfach mal aus
Ich weiß nicht, wie sie Weihnachten feiern, ob sie in ihrer Familie zusammenkommen, ob sie allein zu Hause sitzen werden. Probieren sie es doch auch einmal. Es muss auch gar nicht in der hochheiligen Nacht sein, die hoffentlich auch bei ihnen ausgefüllt ist von liebevollen Begegnungen in der Familie und vom Besuch der Christmette. Also mir gibt es etwas, wenn ich mir in Gedanken vorstelle, dass ich wirklich dabei bin bei der Geburt des Herrn. Ich stelle mir dann zum Beispiel vor, dass ich ehrfürchtig mit Maria und Josef vor der Krippe stehe; ich stelle mir vor, dass ich Ochs und Esel riechen kann; dass von ferne schon das Blöcken der Schafe ertönt, die von den vom Engel aufgeschreckten Hirten Richtung Bethlehem getrieben werden.

Gott hat sich für uns so klein gemacht
„Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein, das hab ich auserkoren, sein Eigen will ich sein. Eia, Eja, sein Eigen will ich sein“, lautet ein wunderschönes Kirchenlied. Mir fällt es leicht, mir das kleine Kind vorzustellen; ich liebe Kinder. Sogar das Weinen dieses Neugeborenen ist etwas Wunderbares. Nie mehr können wir Menschen Gott vorwerfen, dass Er sich angesichts des Elends und Leids, das es in dieser Welt gibt, in Seiner Hocherhabenheit versteckt. Er ist kein Gott, vor dem man sich in den Staub werfen muss, sondern er ist ein Gott, der sich vor uns so ganz klein und hilfl os gemacht hat. Größer kann Gott sich nicht geben, als indem er sich so babyklein gemacht hat. Ich bin katholischer Priester und kein Guru, der irgendwelche Seelenmanipulationen beherrscht, aber ich kann ihnen aus eigener Erfahrung versprechen, dass es sich auszahlt, sich diese Viertelstunde Zeit zu nehmen für eine Weihnachtsbetrachtung. Es kommt einem dann fast so vor, als würde das Jesuskind in der Krippe den Blick erwidern, und wir befi nden uns plötzlich in einem Gespräch mit dem Herrn. Oder wir spüren zumindest den „Glanz des Herrn“ und die große Freude. Denn dieses kleine Kind wird einmal, nachdem es durch Leiden, Kreuz und Auferstehung gegangen ist, sagen: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden!“ Vielleicht schämen wir uns ja auch im Angesicht einer so reinen Liebe. Aber keine Angst, denn dieses Kind ist gekommen, um unsere Sünden wegzunehmen, wegzulieben.

In Ihm ist der Sinn unseres Lebens
„O Kindelein von Herzen, will ich Dich lieben sehr, in Freuden und in Schmerzen, je länger mehr und mehr! Eja, Eja, je länger mehr und mehr!“, lautet die zweite Strophe des alten Liedes. Für mich hat die Muttergottes immer eine große Rolle gespielt. Als 17-jähriger Jugendlicher bin ich zu einer marianischen Gebetsgruppe gestoßen. Weihnachten ist das Fest der Frau, der Mutter. Bei einer Betrachtung darf man sich ruhig vorstellen, wie auch Maria uns anlächelt, wie sie das Baby auf dem Arm trägt – also den Gottessohn, von dem wir glauben, dass Seine Allmacht Himmel und Erde umfasst. Die Mutter hält das Kind nicht an sich fest, sie streckt es uns entgegen. Die Mutter Christi ist keine selbstsüchtige Mutter. Sie will, dass wir teilnehmen, teilnehmen an ihrer Freude. Sie streckt uns das Kind entgegen, wir dürfen unsere Hände öffnen, das Kind an uns drücken. Warum sollten wir auch hölzern und distanziert bleiben, wo doch genau darin unser letzter Lebenssinn ruht. Wo wir dieses Kind annehmen, wird alles Seligkeit. Da wird uns klar, wie belanglos und banal unser Leben ist, wenn wir nur darauf bedacht sind, es in neutraler und fauler Distanz zu Gott zu leben. Das Lächeln dieses Kindes lässt unsere kleinen irdischen Sorgen zerfl ießen und zermalmt unsere großen Probleme zu Staub. Wie schön ist es, den Pulsschlag des Ewigen zu spüren.

Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Kind den Morgen nach dem Heiligen Abend erlebte. Schon damals war ich ein chronischer Frühaufsteher und saß dann bei der Morgendämmerung am Christtag vor dem Weihnachtsbaum, um mich mit den liegengebliebenen Geschenken zu beschäftigen. Wie schnell war der Feierglanz des Vorabends verschwunden, die elektrisierende Hochspannung der Bescherung dem grauen Allerlei gewichen ... Ein Weihnachtsfest kommt, doch die Festlichkeit vergeht schnell wieder. Im Evangelium heißt es von der Mutter des Christkinds, von Maria, dass für sie mit dem himmlischen Trara, das da in der Heiligen Nacht geschehen ist, nicht alles aus ist. Der Himmel hat sich geschlossen, keine Engel jauchzen mehr ihre Lobgesänge herab; keine Leute drängeln sich mehr mit glänzenden Augen heran. Auf Festlichkeit folgt Alltag. Aber es ist für Maria kein leerer Alltag, sondern sie lebt in der Fülle. Lukas schreibt in seinem Weihnachtsevangelium, dass Maria alles in ihrem Herzen bewahrte.

Und eben ein solches Weihnachtsfest wünsche ich mir und ihnen allen: Dass wir das Schönste, das es gibt, mit in unser kleines alltägliches Leben mitnehmen: die große Freude darüber, dass Gott uns in Seiner Liebe unendlich nahe sein will.

Pater Karl Wallner

Quelle: Zeitschrift "medjugorje aktuell", 2010.