"Der Gottmensch" von Maria Valtorta


Auszug aus dem Buch

Die Niederschriften der Visionärin Valtorta beschreiben das gesamte Leben und Wirken Jesu aus einer menschlichen Perspektive und helfen somit die Geschehnisse in der Heiligen Schrift besser zu verstehen.

Diese Niederschrift dient der persönlichen Erbauung. Es ist dem Leser überlassen, sie als übernatürlichen Ursprungs anzuerkennen.

Band II, Kapitel 116 - Jesus auf dem Berg des Fastens und am Felsen der Versuchung
Wir haben das Kapitel in 2 Abschnitte aufgeteilt.
Abschnitt I – Jesus auf dem Berg des Fastens (im Januar 2024)
Abschnitt II – Jesus am Felsen der Versuchung folgt im Februar 2024

Abschnitt I – Jesus auf dem Berg des Fastens

[…] So kann ich erkennen, dass der Berg kahl und felsig und von Rissen durchsetzt ist, welche Grotten, Höhlen und Gesimse bilden. Ein wilder Ort, an dem nur vereinzelt an Stellen, wo etwas Erde liegt und sich etwas Wasser vom Himmel ansammelt, grüne Büschel wachsen, wilde stachelige Pflanzen und niedrige starre Stauden […]. Am Fuße des Berges dehnt sich eine flache, steinige Wüste aus, an deren Ende eine dunkle Stelle ist, die auf eine vom Grundwasser gespeiste Oase schließen lässt. Doch […] kann man erkennen, dass es […] ein stehendes, ein düsteres, totes Gewässer, ein See von unendlicher Traurigkeit ist. In diesem Zwielicht überkommt mich die Erinnerung an die Vision einer toten Welt. Es scheint, dass der See alle Dunkelheit des Nachthimmels in sich aufnimmt, alles Düstere des Bodens der Umgebung; dass er in seinen toten Wassern alles schmutzige Grün der Dornenbüsche und steifen Gräser enthält, die kilometerweit in der Ebene und an den Hängen den einzigen Schmuck der Gegend bilden. Eine wahrlich trostlose Schau, und welch ein Gegensatz zum sonnigen, lachenden See Genezareth!
Doch wenn ich hinauf zum Himmel blicke, der […] immer heller wird; wenn ich sehe, wie das Licht von Osten her in immer kraftvolleren Wogen näher rückt, wird mir wieder froh ums Herz. Aber der Anblick dieses so düsteren toten Sees hat etwas Beklemmendes an sich. Kein Vogel überfliegt das Wasser, kein Tier ist an seinem Ufer. Nichts!

Während ich diese Trostlosigkeit betrachte, erreicht mich die süße Stimme meines Jesus: „Nun sind wir da angekommen, wo ich euch hinführen wollte.“ Ich wende mich um und sehe ihn hinter meinem Rücken zwischen Johannes, Simon und Judas auf einem Pfad am felsigen Fuße des Berges. Es ist dies eigentlich nicht ein Pfad, sondern ein kaum wahrnehmbarer Weg; ein Graben, den das Regenwasser im Verlauf der Jahrhunderte in den Kalkstein gegraben hat und der jetzt eher ein Weg für die wilden Ziegen als für Menschen ist. Jesus schaut umher und wiederholt:
„Ja, hierher wollte ich euch führen. Hier hat Christus sich auf seine Mission vorbereitet.“
„Aber hier ist doch nichts!“
„Du sagst es, hier ist nichts.“
„Mit wem warst du hier?“
„Mit meinem Geist und meinem Vater.“
„Ach, das war wohl ein Aufenthalt von wenigen Stunden?“
„Nein, Judas, nicht von wenigen Stunden ... von vielen Tagen.“
„Wer sorgte für dich? Wo hast du geschlafen?“
„Als Diener hatte ich die wilden Esel, die nachts in ihrer Höhle schliefen ... in dieser hier, in der auch ich Zuflucht gesucht habe. Als Diener hatte ich die Adler, die mit ihrem rauhen Schrei verkündeten: ‚Es ist Tag‘ und fortflogen, um nach Beute zu suchen. Als Freunde hatte ich die kleinen Hasen, die das spärliche Gras zu meinen Füßen fraßen. Meine Speise und mein Trank waren, was die Wildblumen haben: der nächtliche Tau und das Sonnenlicht. Nichts anderes!“
„Aber warum?“
„Um mich gut auf meine Sendung vorzubereiten, wie du sagst. Die gut vorbereiteten Dinge gelingen gut. Du selbst hast es gesagt. Und bei mir ging es nicht um ein dürftiges, wertloses Anliegen; ich – als Diener des Herrn – hatte den Menschen das Wesen Gottes verständlich zu machen, und sie aufgrund dieses Verständnisses zur Liebe im Geiste der Wahrheit zu führen. Welch armseliger Diener des Herrn, der an seine eigene Verherrlichung denkt und nicht an den Triumph des Herrn; der den eigenen Vorteil sucht und davon träumt, sich selbst auf einen Thron emporzuschwingen; der aus göttlichen Dingen banale Angelegenheiten macht und was himmlisch ist, entwürdigt. Ein solcher Mensch ist nicht mehr Diener, auch wenn es nach außen hin so scheint. Er ist ein Händler, ein Schwindler, der sich und andere betrügt, ja selbst Gott betrügen möchte; ein Unglücklicher, der ein Fürst zu sein glaubt und doch nur ein Sklave ist. Er gehört dem Dämon, dem König der Lüge. Hier, in dieser Höhle, lebte Christus viele Tage von Abtötungen und Gebet, um sich auf seine Sendung vorzubereiten. Wohin sollte ich zu meiner Vorbereitung gehen, Judas?“

Judas ist verunsichert und verwirrt. Endlich antwortet er: „Ich weiß nicht ... ich dachte, zu irgendeinem Rabbi ... zu den Essenern ... ich weiß nicht.“

„Hätte ich einen Rabbi finden können, der mir mehr gesagt hätte als die Macht und die Weisheit Gottes? Und hätte ich – ich, das ewige Wort des Vaters, ich, der ich war, als der Vater den Menschen erschuf, und weiß, mit welchem unsterblichen Geist er belebt ist und welche Kraft des freien Urteils- und Entscheidungsvermögens ihm der Schöpfer gegeben hat – hätte ich Weisheit und Fähigkeit bei jenen schöpfen können, welche die Unsterblichkeit der Seele, die Auferstehung nach dem Tode und die Handlungsfreiheit des Menschen leugnen, welche Tugend und Laster, heilige und schlechte Taten als Schicksal, dem man nicht entgehe, als unabwendbar bezeichnen? O nein! Ihr habt eine Bestimmung, gewiss, ihr habt sie. Im Geiste Gottes, der euch erschuf, liegt eure Bestimmung. Und es ist eine Bestimmung der Liebe, des Friedens, der Glorie: ‚die Heiligkeit, seine Kinder zu sein‘. Diese Bestimmung ist seit der Erschaffung Adams aus dem Schlamm dem Geiste Gottes gegenwärtig, und so wird es bis zur Erschaffung der letzten Menschenseele sein.
Doch der Vater tut euch in eurem Königsein keine Gewalt an. Ein gefangener König ist nicht mehr König; er ist ein Verworfener. Ihr seid Könige, weil ihr in eurem kleinen individuellen Bereich frei seid: in eurem Ich. In ihm könnt ihr machen, was ihr wollt und wie ihr es wollt. Euch gegenüber und an den Grenzen eures kleinen Reiches habt ihr einen königlichen Freund und zwei feindliche Mächte. Der Freund zeigt euch die Regeln, die er gegeben hat, um diejenigen, die ihm gehören wollen, glücklich zu machen. Er zeigt die Regeln, er, der Weise und Heilige, damit ihr, wenn ihr wollt, sie befolgen und ewige Herrlichkeit verdienen könnt. Er sagt euch! Das sind sie! Mit ihnen ist euch der ewige Sieg gewiss!
Die beiden feindlichen Mächte sind Satan und das Fleisch. Das Fleisch seid ihr und die Welt. Also die Pracht und die Verführungen der Welt, der Reichtum, die Feste, die Ehren, die Macht, die man von der Welt und in ihr haben kann und die nicht immer ehrbar sind und nicht immer in ehrbarer Weise benützt werden, wenn sie einem aus mannigfaltigen Gründen zufallen. Satan, der Gebieter über das Fleisch und die Welt, wirbt für die Welt und das Fleisch. Auch er hat seine Regeln. Und wie hat er sie! Und da das Ich vom Fleisch umgeben ist, und das Fleisch das Fleisch anzieht wie der Magnet die Metallspäne, und da der Gesang des Verführers süßer als das Klagen der verliebten Nachtigall im Mondenschein und im Dufte der Rosen ist, so ist es leichter, diese Regeln zu befolgen, sich diesen Mächten zuzuwenden und zu ihnen zu sagen: ‚Ihr seid meine Freunde, tretet ein!‘ Tretet ein ... Habt ihr je einen Verbündeten gesehen, der immer anständig blieb und nicht einen Prozent verlangte für die gebotene Hilfe? So machen es diese Mächte. Sie treten ein ... und werden zu Herrschern. Zu Herrschern? Nein, zu Polizisten! Sie binden euch, o Menschen, an ihre Galeerenbank, sie ketten euch an und lassen euch das Haupt vom Joch nicht mehr erheben, und wenn ihr versucht, euch loszureißen, dann schneiden sie euch mit den Ruten ins Fleisch. Entweder ihr lasst euch verwunden, bis ihr nur noch ein elender Haufen zerschlagenes Fleisch seid, so unnütz, dass ihre grausamen Füße euch wegstoßen, oder ihr sterbt.
Wenn ihr euch dieses Martyrium auferlegt, ja ihr selbst es euch auferlegt, dann kommt die Barmherzigkeit, die einzige, die sich dieses abstoßenden Elends erbarmt, vor dem die Welt – einer ihrer Gebieter – sich nun ekelt und auf das der andere Gebieter, der Satan, seine Rachepfeile schießt. Die Barmherzigkeit, die einzige, die sich erbarmt, kommt, sich beugt, aufrichtet, pflegt, heilt und sagt: ‚Komm, fürchte dich nicht. Habe keine Angst, deine Wunden sind nur noch Narben; doch sie sind so zahllos, dass du erschrecken würdest, so sehr entstellen sie dich. Ich beachte sie nicht. Ich blicke auf deinen Willen. Dieses guten Willens wegen fällst du mir auf. Darum sage ich dir: Ich liebe dich! Komm mit mir.‘ Und die Barmherzigkeit trägt dich in ihr Reich.
So versteht ihr, dass die Barmherzigkeit und der königliche Freund ein und dieselbe Person sind. Ihr werdet die Regeln wiederfinden, die sie euch gezeigt hat und die ihr nicht befolgen wolltet. Nun wollt ihr, und ihr erreicht zuerst den Frieden des Gewissens und dann den Frieden Gottes. Sagt mir also: Wurde dieses Schicksal von Einem allein für alle bestimmt, oder ist es von jedem persönlich für sich selbst gewollt?“

„Es ist von jedem einzelnen frei gewählt worden.“

„Du urteilst richtig, Simon. Konnte ich zu den Leugnern der seligen Auferstehung und der Gnade Gottes gehen, um mich zu bilden? Hierher bin ich gekommen. Als Menschensohn habe ich hier meine Seele in ihren letzten Feinheiten bearbeitet und habe so ein dreißigjähriges Werk der Vorbereitung und der Selbstverleugnung: in der tiefsten Erniedrigung vollendet, um in Vollkommenheit mein Amt anzutreten.
Nun bitte ich euch, ein paar Tage mit mir in dieser Höhle zu verbringen. Dieser Aufenthalt wird immer noch weniger trostlos sein, weil wir vier Freunde sind, um gemeinsam gegen die Traurigkeit, die Angst, die Versuchungen und die Bedürfnisse unseres Leibes anzukämpfen. Ich war allein. Und es wird auch weniger mühselig sein, weil es jetzt Sommer ist und der Wind hier in der Höhe die Hitze mildert. Ich kam am Ende des Monats Tebet hierher, und der Wind, der vom verschneiten Berggipfel herunterblies, war eisig. Dieser Aufenthalt wird auch noch weniger qualvoll sein, weil er kürzer sein wird, und wir über ein Minimum an Nahrung verfügen, die unseren Hunger lindert, und in den kleinen Lederschläuchen, die ich euch von den Hirten geben ließ, ist genügend Wasser für ein paar Tage. Ich ... ich muss Satan zwei Seelen entreißen. Nur die Buße bringt das zustande. Ich bitte euch um Hilfe. Für euch wird es überdies von erzieherischem Wert sein. Ihr werdet lernen, wie man Satan seine Opfer entreißt. Nicht so sehr mit Worten als vielmehr mit Opfern ... Die Worte! ... Der Spektakel Satans verhindert, dass sie gehört werden ... Jede Seele in der Gewalt des Feindes befindet sich in einem wahren Strudel teuflischer Stimmen ... Wollt ihr bei mir bleiben? Wenn ihr nicht wollt, geht! Ich bleibe. Wir werden uns in Tekoa wieder treffen, am Markt.“

„Nein, Meister, ich verlasse dich nicht“, sagt Johannes, während Simon gleichzeitig ausruft: „Du erhebst uns, indem du uns bei dir behältst bei diesem Werk der Erlösung.“
Judas sieht nicht sehr begeistert aus. Doch er macht gute Miene zur Situation und sagt:
„Ich bleibe.“

„Nehmt also die Wasserbeutel und die Taschen und tragt sie hinein, bevor die Sonne anfängt zu brennen. Macht Kleinholz und häuft es neben dem Eingang auf. Die Nächte sind hier auch im Sommer kühl, und nicht alle Tiere sind gutartig. Einen Ast zündet sofort an, den dort von der harzhaltigen Akazie; er brennt gut. Wir wollen noch in die Fugen und Ritzen leuchten, um mit dem Feuer Nattern und Skorpione zu vertreiben. Geht ans Werk!“

Die gleiche Stelle auf dem Berg, nur ist es jetzt Nacht. […] Ab und zu durchfurcht ein Stern den Himmel und verschwindet irgendwo am Horizont. […].
Jesus sitzt an der Öffnung der Höhle und spricht zu den drei Jüngern, die um ihn herum gruppiert sind. In ihrer Mitte ist noch ein Häuflein glühender Holzstücke, die ihren rötlichen Schein auf die vier Gesichter werfen.
„Ja, der Aufenthalt ist zu Ende; dieser Aufenthalt. Das letzte Mal hat er vierzig Tage gedauert ... und ich sage es euch noch einmal: es war noch Winter auf diesen Hängen ... und ich hatte keine Nahrung. Etwas schwieriger als dieses Mal, nicht wahr? Aber ich weiß, dass ihr auch jetzt gelitten habt. Das Wenige, das wir hatten und ich euch gab, war nichts, besonders für den Hunger der Jüngeren. Es genügte gerade, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Wasser hattet ihr noch weniger. Es ist brütend heiß am Tage, und ihr werdet sagen, so war es im Winter nicht. Doch damals blies ein trockener Wind, der von der Höhe wehte und in der Lunge brannte. Er brachte aus der Wüste Sand mit und trocknete alles noch mehr aus als diese Sommerhitze, die ihr mit den säuerlichen Früchten, die beinahe reif sind, leidlich ertragt. Damals bot der Berg nur Wind und vom Eis verdorrte Kräuter unter den Skeletten der Akazien. Ich habe euch nicht alles gegeben, sondern habe die letzten Brote und den letzten Käse mit dem letzten Wasserbeutel für den Rückweg aufgespart. Ich weiß, was der Rückweg war ... erschöpft wie ich war in der Einsamkeit der Wüste ... Suchen wir unsere Sachen zusammen und gehen wir! Die Nacht ist noch heller als jene, in welcher wir hergekommen sind. Es scheint kein Mond, aber vom Himmel regnet es Licht. Lasst uns gehen! Denkt an diesen Ort! Erinnert euch stets daran, wie Christus sich vorbereitet hat und wie sich auch seine Apostel vorbereiten: wie ich die Apostel lehre, sich vorzubereiten!“

Sie erheben sich. Simon stochert mit einem Zweig in der Asche, um das Feuer neu anzufachen, […] und entzündet an der Flamme einen Akazienzweig. Diese Fackel hält er am Eingang der Höhle in die Höhe, während Judas und Johannes Mäntel, Taschen und die kleinen Wasserbeutel, von denen nur noch einer voll ist, zusammentragen. Dann schlägt er die Fackel gegen den Felsen, nimmt seine Tasche, wirft sich wie die anderen den Mantel um und bindet ihn sich um die Hüfte fest, damit er ihm beim Gehen nicht hinderlich sei.
Sie steigen schweigend […] einen schmalen Pfad hinab […]. Der Weg ist lang und beschwerlich. Schließlich erreichen sie die Ebene. Auch hier ist der Weg unbequem, denn Steine und Steinsplitter bewegen sich heimtückisch unter den Füßen und verletzen diese […]. Dürre, dornige Zweige zerkratzen die Haut und verfangen sich in den Gewändern. Doch nun geht es besser. Am Himmel erstrahlen die Sterne immer heller. Sie marschieren, stundenlang. Die Ebene wird unfruchtbarer und trostloser. Ein Glitzern leuchtet aus Erdritzen und ausgetrockneten Löchern. […] Johannes bückt sich, um sie zu betrachten.
„Es ist das Salz des Untergrundbodens, der davon gesättigt ist. Mit dem Frühjahrsregen steigt es an die Oberfläche und trocknet dann ein. Deshalb gibt es hier kein Leben. Durch tiefliegende Wasseradern bringt das östliche Meer Tod und Unfruchtbarkeit viele Stadien weit ins Land hinein. Nur wo süße Quellen dieses ätzende Wasser mildern, ist es möglich, wieder Pflanzen zu finden und eine Wiederbelebung der Natur zu beobachten“, erklärt Jesus.

Wir danken dem Parvis Verlag für die Bereitstellung des Textes zur Veröffentlichung!

Maria Valtorta: Der Gottmensch - Leben und Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Parvis-Verlag
Zur Buchbestellung

Die einzelnen Kapitel der Niederschriften von Maria Valtorta sind auch kostenlos als Hörbuch hier anzuhören! Jeden Tag wird ein neues Kapitel dieses umfassenden Werkes auf YouTube veröffentlicht.