"Der Gottmensch" von Maria Valtorta


Auszug aus dem Buch

Die Niederschriften der Visionärin Valtorta beschreiben das gesamte Leben und Wirken Jesu aus einer menschlichen Perspektive und helfen somit die Geschehnisse in der Heiligen Schrift besser zu verstehen.

Diese Niederschrift dient der persönlichen Erbauung. Es ist dem Leser überlassen, sie als übernatürlichen Ursprungs anzuerkennen.

Die Vermählung der Jungfrau mit Josef

Aus dem Kapitel 20, Band I, "Der Gottmensch" von Maria Valtorta

Wie schön ist Maria in ihrem Brautgewand unter ihren festlichen Freundinnen und Lehrerinnen! Auch Elisabet befindet sich unter ihnen. Mit reinstem Linnen ist sie bekleidet, so fein, dass es kostbare Seide zu sein scheint. Ihr Gürtel mit in Gold und Silber gestochenem Schmuck ist aus Medaillons zusammengesetzt, die von Kettchen zusammengehalten werden; jedes einzelne Medaillon ist ein aus Gold und Silberfäden bestehendes Zierwerk, das schon von der Zeit gebräunt ist. Der Gürtel umgibt die schmalen Lenden, und da er für das zarte Mädchen wohl zu lang ist, hängen vorne zwischen den Falten des weiten Gewandes drei Medaillons herab. Hinten wirkt das Gewand wie eine Schleppe, so lang ist es. An den kleinen Füßen trägt Maria Sandalen aus schneeweißem Fell mit silbernen Schnallen. Am Hals wird das Kleid von einem Kettchen aus goldenen Rosetten und silbernem Filigran gehalten, das im Kleinen das Motiv des Ledergürtels wiederholt. Es ist durch breite Knopflöcher gezogen, um den Halsausschnitt zusammenzuhalten, und bildet so eine kleine Rüsche. Der Hals Marias ragt aus diesem gefalteten Blütenweiß, mit der Grazie eines in kostbare Gaze gewickelten Stieles, hervor und scheint noch schmächtiger zu sein: ein Blumenstiel, der in einem lilienweißen Antlitz endet, das noch bleicher und reiner geworden ist unter der inneren Bewegung. Ein Gesicht wie eine reine Hostie. Die Haare fallen nicht mehr über die Schultern herab. Die Zöpfe sind zu einem Knoten geflochten, der von kostbaren Haarnadeln aus gebräuntem Silber, alle mit Filigran verziert, zusammengehalten wird. Der Schleier der Mutter ruht auf diesen Flechten und fällt vom kostbaren Stirnreifchen in schönen Falten nach unten; hinunter bis zu den Hüften, […] An den Händen trägt sie nichts, an den Handgelenken Armbänder. Aber die Gelenke sind so fein und zart, dass ihr die schweren Armbänder der Mutter bis auf die Handrücken rutschen; […].

Die Gefährtinnen bestaunen sie von allen Seiten. Ihr Reden und Fragen hört sich an wie munteres Vogelgezwitscher.
„Sind die von deiner Mutter?“
„Alt, nicht wahr?“
„Wie schön ist dieser Gürtel, Sara!“
„Und der Schleier, Susanne! Schau, wie fein! Schau die Lilien, die hineingewoben worden sind!“
„Lass mich die Armbänder sehen, Maria! Gehörten sie deiner Mutter?“
„Sie trug sie, aber sie sind von der Mutter Joachims, meines Vaters.“
„Oh! Schau! Sie hat das Siegel Salomons, verwoben mit Palmen und Olivenzweigen, und dazwischen sind Lilien und Rosen. Oh, wer hat diese fehlerlose und präzise Arbeit geleistet?“
„Sie stammen aus dem Haus Davids“, erklärt Maria. „Seit Jahrhunderten schmücken sich die Frauen dieses Geschlechtes mit ihnen, wenn sie sich vermählen, und dann bleiben sie im Erbschatz als Vermächtnis.“
„Ja, du bist Erbtochter ... “
„Haben sie dir alles aus Nazareth gebracht?“
„Nein, als meine Mutter starb, hat meine Kusine die Ausstattung in ihr Haus genommen, um sie gut aufzubewahren. Jetzt hat sie mir alles gebracht.“
„Wo ist die Aussteuer? Wo ist sie? Zeige sie deinen Freundinnen!“

Maria weiß nicht, was sie sagen soll ... Sie möchte freundlich sein; aber sie möchte nicht alles auspacken, was in drei schweren Truhen untergebracht ist. Die Lehrerinnen kommen ihr zur Hilfe: „Der Bräutigam kommt. Jetzt ist keine Zeit, alles in Unordnung zu bringen. Lasst sie jetzt in Ruhe, ihr ermüdet sie. Geht und bereitet euch vor!“
Der geschwätzige Schwarm entfernt sich ein wenig enttäuscht. Maria kann sich nun in Frieden auch den Lehrerinnen widmen, die ihr Worte des Lobes und des Segens sagen. Auch Elisabet ist gekommen. Und da Maria erregt weint, weil Hanna des Penuël sie Tochter nennt und sie mit wirklich mütterlicher Liebe küsst, sagt Elisabet zu ihr:
„Maria, deine Mutter ist nicht da, und doch ist sie zugegen. Ihre Seele freut sich mit dir. Und schau: die Sachen, die du trägst, geben dir ihre Liebkosungen wieder. In ihnen findest du auch den Duft ihrer Küsse. Eines Tages, am Tag, da du in den Tempel kamst, sagte sie zu mir: ‚Ich habe die Kleider und die Brautausstattung vorbereitet, denn ich will das Linnen weben und die Brautkleider anfertigen, um nicht zu fehlen am Tag ihrer Freude.‘ Und weißt du, in den letzten Zeiten, in denen ich ihr beigestanden habe, wollte sie jeden Abend deine ersten Kleidchen liebkosen und die, die du jetzt trägst, und dabei sagte sie: ‚Hier atme ich den Lilienduft meiner Kleinen, und hier will ich, dass sie den Kuss ihrer Mutter spürt.‘ Wie viele Küsse hat sie auf diesem Schleier hinterlassen, der jetzt deine Stirn umschattet! Mehr Küsse als Fäden ... Und wenn du die von ihr gewebten Stoffe anziehst, so denke daran: mehr als aus Kammwolle bestehen sie aus der Liebe deiner Mutter. Und die Schmucksachen ... Auch sie wurden in schweren Zeiten von deinem Vater zurückgelegt, um dich zu schmücken, wie es sich für eine Prinzessin aus dem Haus Davids ziemt in dieser Stunde. Freue dich, Maria, du bist keine Waise; denn die Deinen sind bei dir, und du hast einen Bräutigam, der dir Vater und Mutter ist, so vollkommen ist er ... “

„O ja! Das ist wahr! Über ihn kann ich mich wahrlich nicht beklagen. In weniger als zwei Monaten ist er zweimal gekommen, und heute kommt er das dritte Mal, trotz Wind und Regen, um von mir Anweisungen zu erhalten ... Denke dir: Anweisungen! Ich bin nur eine arme Frau und viel jünger als er. Und er hat mir nichts verweigert. Er wartet nicht einmal, bis ich ihn bitte. Es scheint, dass ein Engel ihm eingibt, was ich wünsche, und er sagt es mir, bevor ich es selbst sagen kann. Das letzte Mal hat er gesagt: ‚Maria, ich glaube, du bist lieber in deinem väterlichen Haus. Da du die Erbtochter bist, kannst du es tun, wenn du es wünschst. Ich komme in dein Haus. Nur um den Brauch zu wahren, wirst du eine Woche im Haus des Alphäus, meines Bruders, wohnen. Maria, ich liebe dich schon sehr ... Von dort wird am Abend der Hochzeitszug abgehen, der dich zu deinem Haus bringt.‘ Ist das nicht lieb von ihm? Es hat ihm gar nichts ausgemacht, dass die Leute sagen, er habe ein Haus, das mir nicht gefällt ... Mir hätte auch das seinige gefallen; wenn nur er da ist, denn er ist so gut. Aber gewiss ... ich ziehe mein Haus vor ... Wegen der Erinnerungen ... Oh! Er ist gut, der Josef!“

„Was hat er wegen des Gelübdes gesagt? Du hast mir noch nicht davon erzählt.“
„Er hat nichts dagegen. Im Gegenteil, als er die Gründe erfuhr, hat er gesagt: ‚Ich vereinige mein Opfer mit dem deinen.‘ “
„Er ist ein heiliger junger Mann!“, sagt Hanna des Penuël.
Der ‚junge Heilige‘ tritt in diesem Augenblick in Begleitung von Zacharias ein. Er sieht buchstäblich prachtvoll aus. Ganz in Goldgelb gekleidet, wie ein orientalischer Herrscher. Ein kostbarer Gürtel hält Börse und Dolch; erstere ist aus Maroquinleder, während der Dolch in einem Futteral aus demselben Leder mit Goldverzierungen steckt. Auf dem Haupte hat er eine Art Turban, beziehungsweise ein Wolltuch, das wie eine Kapuze umgelegt ist, so wie es noch gewisse Völker in Afrika und die Beduinen tragen; es wird durch einen kostbaren Reifen festgehalten, einem Band aus feinem Gold, an dem Myrrhe-Sträußchen befestigt sind. Außerdem bedeckt ihn ein ganz neuer Mantel voller Fransen, der ihn festlich kleidet. Er strahlt vor Freude und hält blühende Myrten in der Hand.
„Der Friede sei mit dir, meine Braut!“, grüßt er. „Friede euch allen!“
Nach Empfang des Gegengrußes sagt er: „Ich habe deine Freude gesehen an jenem Tag, als ich dir den Zweig aus deinem Garten gab. So dachte ich, dir Myrte zu bringen, die ich bei der, dir so lieben, Grotte gepflückt habe. Ich wollte dir die Rosen bringen, die an deinem Haus wachsen und jetzt zu blühen beginnen; aber Rosen halten nicht lange; sie hätten die Reise nicht überstanden. Ich wäre mit lauter Dornen angekommen. Aber dir, meine Geliebte, will ich nur Rosen schenken, weiße, duftende Blumen will ich auf deinen Weg streuen, damit du deinen Fuß darauf setzest, ohne auf Schmutz und Steine zu treten.“
„Oh! Ich danke dir, Guter! Wie hast du sie so frisch bis hierher bringen können?“
„Ich habe ein Gefäß an den Sattel gebunden, und in dieses habe ich die Zweige mit den Knospen gesteckt. Auf dem Weg haben sie dann zu blühen begonnen. Hier, sie sind für dich, Maria. Deine Stirn soll mit Reinem bekränzt werden, dem Sinnbild der Braut; aber Blüten sind so viel geringer, als die Reinheit, die du im Herzen trägst.“

Elisabet und die Lehrerinnen schmücken Maria mit einem Blumenkränzchen, das sie bilden, indem sie Myrten und kleine weiße Rosen mit dem kostbaren goldenen Reifen verflechten. Maria will schon ihren weißen, weiten Mantel anziehen; aber der Bräutigam kommt ihr zuvor und hilft ihr, den weiten Mantel mit zwei silbernen Spangen an den Schultern zu befestigen. Die Lehrerinnen ordnen die Falten mit Liebe und Anmut. Alles ist bereit.

Während sie auf irgend etwas warten, nimmt Josef Maria zur Seite und sagt: „Ich habe in dieser Zeit über dein Gelübde nachgedacht. Ich habe dir gesagt, dass ich es mit dir teile. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr begreife ich, dass der vorläufige Entscheid nicht genügt; auch wenn er öfters erneuert wird. Ich habe dich verstanden, Maria. Ich verdiene das Wort des Lichtes noch nicht; aber ein Flüstern spüre auch ich. Und es lässt mich dein Geheimnis wenigstens in den Hauptzügen begreifen. Ich bin ein armer, unwissender Mensch, Maria, ich bin ein armer Arbeiter; ich bin ungebildet und besitze keine Schätze. Aber dir zu Füßen lege ich einen Schatz für immer und ewig: meine absolute Keuschheit, um würdig zu sein, an deiner Seite zu leben, du Jungfrau Gottes, „meine Schwester, Braut, verschlossener Garten, versiegelte Quelle“ [Hld 4,12], wie unser Ahnherr sagt, der das Hohelied vielleicht in Hinblick auf dich schrieb. Ich werde der Hüter dieses duftenden Gartens sein, in dem sich die schönsten Früchte finden und eine Quelle von lebendigem Wasser sanft sprudelt: deine Anmut, o Braut, die du mit deiner Reinheit meine Seele erobert hast, du ganz Schöne, schöner als die Morgenröte; du Sonne, die du strahlst, weil dein Herz erstrahlt; du, die du vollkommene Liebe für deinen Gott bist und für die Welt, der du den Erlöser geben willst mit deinem Opfer als Frau. Komm, meine Geliebte!“ Und er nimmt sie zart bei der Hand und führt sie zur Tür. Alle anderen folgen ihnen, und draußen vereinigen sie sich mit den festlich gekleideten Gefährtinnen, alle in weiß und verschleiert.

Sie gehen durch Höfe und Säulenhallen, durch die Menge der Zuschauer, bis zu einem Ort, der nicht der Tempel ist, sondern ein Saal zu sein scheint, der dem Kulte dient; denn dort gibt es Lampen und Pergamentrollen, wie in den Synagogen. Das Brautpaar geht vor ein hohes Pult, eine Art Kanzel, und wartet. Die anderen stellen sich hinter ihm in guter Ordnung auf. Andere, Priester und Neugierige, befinden sich im Hintergrund. Nun tritt der Hohepriester feierlich ein. Ein Raunen geht durch die Reihen der Neugierigen:
„Wird er die Trauung vornehmen?“
„Ja, denn sie ist aus königlichem und priesterlichem Geschlecht. Eine Blüte Davids und Aarons; die Braut ist Tempeljungfrau. Der Bräutigam ist aus dem Stamm Davids.“

Der Priester legt die Rechte der Braut in die des Bräutigams und segnet sie feierlich:
„Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sei mit euch! Er vereinige euch und erfülle euch mit seinem Segen, indem er euch seinen Frieden und eine zahlreiche Nachkommenschaft gebe, zusammen mit einem langen Leben und einem seligen Tod im Schoß Abrahams!“ [Tob 7,15–16]. Dann zieht er sich zurück, feierlich wie er eingetreten war.
Das Versprechen wird ausgetauscht. Maria ist nun die Braut Josefs. Alle gehen hinaus, immer in guter Ordnung, und begeben sich in einen Saal, wo der Ehevertrag unterzeichnet wird, in dem es heißt, dass Maria, die Erbtochter des Joachim, aus dem Haus Davids, und Annas, der Tochter Aarons, als Mitgift dem Bräutigam ihr Haus und die zugehörigen Güter und ihre persönliche Aussteuer übergibt, sowie jedes andere Gut, das sie vom Vater geerbt hat. Nun ist alles beendet.

Das Brautpaar tritt in den Hof hinaus und schreitet dem Ausgang zu, der sich neben dem Haus der Tempelfrauen befindet. Ein bequemes, schweres Fuhrwerk erwartet sie. Über ihm ist ein schützendes Zelttuch ausgespannt, und im Wagen befinden sich schon die Truhen Marias. Abschiedsgrüße, Küsse und Tränen, Segen und Ratschläge, Empfehlungen jeder Art, dann steigt Maria mit Elisabet in den Wagen und nimmt im Inneren Platz. Vorne sitzen Josef und Zacharias. Sie haben ihre festlichen Mäntel abgelegt und sind beide in dunkle Mäntel eingehüllt. Der Wagen setzt sich in Bewegung; er wird von einem dunkelhaarigen Maultier gezogen. Die Mauern des Tempels entschwinden allmählich dem Auge, dann die Stadt, und nun kommt das freie Land, mit der frisch erwachten Blütenpracht in der ersten Frühlingssonne, mit dem bereits eine Handbreit hohen Korn, das sich zu wogenden, smaragdgrünen Blättlein entwickelt hat; wogend in der leichten Brise, die den Duft der blühenden Apfel- und Pfirsichbäume, des blühenden Klees und des wilden Minzenkrautes herbeiträgt. Maria weint leise unter ihrem Schleier; von Zeit zu Zeit hebt sie den Vorhang und schaut noch einmal zum Tempel in der Ferne und nach der entschwindenden Stadt.

 

Wir danken dem Parvis Verlag für die Bereitstellung des Textes zur Veröffentlichung!

Maria Valtorta: Der Gottmensch - Leben und Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Parvis-Verlag
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Die einzelnen Kapitel der Niederschriften von Maria Valtorta sind auch kostenlos als Hörbuch hier anzuhören! Jeden Tag wird ein neues Kapitel dieses umfassenden Werkes auf YouTube veröffentlicht.