"Der Gottmensch" von Maria Valtorta


Auszug aus dem Buch

Die Niederschriften der Visionärin Valtorta beschreiben das gesamte Leben und Wirken Jesu aus einer menschlichen Perspektive und helfen somit die Geschehnisse in der Heiligen Schrift besser zu verstehen.

Diese Niederschrift dient der persönlichen Erbauung. Es ist dem Leser überlassen, sie als übernatürlichen Ursprungs anzuerkennen.

 

Aus dem Kapitel 241, Band III, "Der Gottmensch" von Maria Valtorta

Die Prüfung Margziams

[…] Jesus sucht mit den Blicken den Soldat Alexander, sieht ihn aber nicht. „Auch heute ist er nicht da. Ich möchte wissen, warum ... “ Doch es sind so viele Leute da, dass es nicht möglich ist, sich an die Soldaten zu wenden; es wäre vielleicht auch unklug, denn die Judäer sind unerbittlicher denn je wegen des bevorstehenden Festes und auch wegen der Gefangennahme des Täufers, bei der sie auch Pilatus und seine Satelliten der Mithilfe verdächtigen. Ich entnehme dies Schimpfworten und Beleidigungen, die am Tor zwischen Soldaten und Bewohnern hin- und herfliegen; […] Die Frauen von Galiläa sind entrüstet und hüllen sich fester als sonst in ihre Schleier und Mäntel. Maria errötet, schreitet aber sicher voran, aufrecht wie eine Palme und ihren Sohn betrachtend, der seinerseits nicht einmal versucht, die aufgebrachten Hebräer zur Vernunft zu ermahnen oder den Soldaten Nachsicht für die Hebräer zu empfehlen.

Da auch immer wieder wenig schöne Bemerkungen gegen die Galiläer fallen, geht Josef von Arimathäa zu Jesus nach vorne; die Menge, die ihn erkennt, schweigt aus Respekt vor ihm. Das Fischtor ist endlich durchschritten […] „Hier sind wir, Meister!“, grüßt Thomas, der mit Philippus und Bartholomäus am Tor wartet. „Ist Judas nicht da? Warum seid ihr hier?“, fragen einige. „Nein. Wir sind hier seit dem frühen Morgen aus Angst, dass du dein Kommen vorverlegen könntest. Aber ihn haben wir nicht gesehen. Gestern bin ich ihm begegnet. Er war mit Zadok, dem Schriftgelehrten, weißt du, Josef? Der alte Magere mit dem Muttermal unter dem Auge. Es waren auch andere dabei ... junge. Ich habe ihm zugerufen: ‚Ich grüße dich, Judas‘, aber er hat nicht geantwortet und getan, als ob er mich nicht kenne. Ich sagte: ‚Aber was hat er denn?‘ Ich bin ihm einige Meter nachgegangen. Er hat sich von Zadok getrennt, bei dem ein Levit war, und hat sich anderen seines Alters angeschlossen, die bestimmt nicht Leviten waren ... Und nun ist er nicht da ... Er wusste doch, dass wir beschlossen hatten, uns hier zu treffen.“ Philippus sagt nichts. Bartholomäus presst die Lippen zusammen, bis sie ganz verschwinden, als ob er eine Sperre bilden wollte für das Urteil, das ihm aus dem Herzen aufsteigt. „Gut, gut! Wir gehen trotzdem! Ich werde bestimmt wegen seiner Abwesenheit nicht weinen“, sagt Petrus. „Wir wollen noch ein wenig warten. Er kann unterwegs aufgehalten worden sein“, sagt Jesus ernst. Sie bleiben an der Mauer im Schatten stehen; die Frauen bilden eine Gruppe, die Männer eine andere.

Alle sind festlich gekleidet. Petrus sogar vornehm. […] Jesus trägt ein schneeweißes Leinenkleid mit einem hellblauen Mantel, den Maria bestimmt während des Winters gewoben hat. Margziam ist hellrot gekleidet, mit einer etwas dunkleren Borte am Hals, am Saum und an den Ärmeln, und einer ebensolchen Borte, die bestickt ist, in der Höhe des Gürtels und an den Rändern des Mantels, den das Kind zusammengefaltet über dem Arm trägt und zufrieden streichelt. Von Zeit zu Zeit erhebt es sein Gesicht, das teils froh und teils besorgt aussieht ... Auch Petrus hat ein Paket in der Hand, das er sorgfältig hütet.

Die Zeit vergeht, doch Judas kommt nicht. „Er hat sich nicht herabgelassen“, brummt Petrus, und vielleicht würde er noch anderes hinzufügen; doch der Apostel Johannes sagt: „Vielleicht erwartet er uns am Goldenen Tor.“ Sie gehen zum Tempel, doch Judas ist nicht dort. Josef von Arimathäa verliert die Geduld. Er sagt: „Gehen wir.“ Margziam wird ein wenig bleich; er küsst Maria und sagt: „Bete! ... Bete! ... “ „Ja, Liebes, hab keine Angst. Du weißt alles ... “ Margziam hängt sich nun an Petrus. Er drückt fest dessen Hand, und da er sich immer noch nicht sicher fühlt, möchte er auch die Hand Jesu ergreifen. „Ich komme nicht, Margziam. Ich bete für dich. Wir werden uns nachher sehen.“ „Du kommst nicht? Warum, Meister?“, fragt Petrus überrascht. „Weil es besser so ist!“ Jesus ist sehr ernst, ich würde sagen traurig. Er schließt: „Josef, der Gerechte, kann mein Tun verstehen.“ In der Tat, Josef widerspricht ihm nicht und stimmt mit seinem Schweigen und einem tiefen Seufzer zu.

„Also, gehen wir!“ Petrus ist etwas betrübt. Margziam ergreift nun die Hand von Johannes. Sie folgen Josef, der ununterbrochen von allen Seiten mit tiefen Verbeugungen gegrüßt wird. Mit ihnen gehen Simon und Thomas, die anderen bleiben bei Jesus. Sie betreten den Saal, den seinerzeit auch Jesus betreten hat. Ein Jüngling, der in einer Ecke schreibt, erhebt sich sofort, als er Josef sieht, und verbeugt sich bis zur Erde. „Gott sei mit dir, Zacharias! Geh und rufe Asrael und Jakobus.“ Der Junge geht und kommt mit zwei Rabbis zurück. Synagogenvorsteher? Schriftgelehrte? Ich weiß es nicht. Zwei hochnäsige Persönlichkeiten, die ihren Dünkel nur vor Josef fallen lassen. Hinter ihnen kommen noch andere acht, weniger wichtige Personen. Sie setzen sich, während sie die Bittsteller stehen lassen, den von Arimathäa inbegriffen. „Was willst du, Josef?“, fragt der Älteste. „Eurer Weisheit diesen Sohn Abrahams vorstellen, der das vorgeschriebene Alter erreicht hat, um gesetzmäßig zu werden und sich selbst zu leiten.“ „Ein Verwandter von dir?“ Sie schauen erstaunt. „In Gott sind wir alle verwandt. Doch der Junge ist Waise, und dieser Mann, für dessen Ehrbarkeit ich bürge, hat ihn an Kindes Statt angenommen, da er keine eigenen Kinder hat.“ „Wer ist der Mann? Er antworte selbst.“ „Simon des Jona, aus Betsaida in Galiläa, verheiratet, ohne Nachkommen, Fischer für die Welt, Sohn des Gesetzes vor dem Allerhöchsten.“ „Galiläer, nimmst du die Vaterschaft auf dich? Warum?“ „Das Gebot sagt, man soll sich der Waisen und der Witwen annehmen. Ich tue dies.“ „Kann der Kleine das Gesetz so gut kennen, um würdig zu sein ... . Du, Knabe, antworte. Wer bist du?“ „Jabe Margziam des Johannes, von den Ländereien bei Emmaus, vor zwölf Jahren geboren.“ „Judäer also. Ist es erlaubt, dass ein Galiläer für ihn sorgt? Lasst uns das Gesetz prüfen!“ „Aber wer bin ich denn? Ein Aussätziger oder ein Verfluchter?“ Das Blut des Petrus beginnt zu kochen. „Sei still, Petrus! Ich werde reden. Ich habe euch gesagt, dass ich für diesen Mann bürge. Ich kenne ihn, als würde er zu meinem Haus gehören. Der ‚Älteste‘ Josef würde niemals eine Sache unterstützen, die gegen das Gesetz ist ... oder auch nur gegen die Vorschriften ... Prüft also den Knaben mit Gerechtigkeit und Aufmerksamkeit. Der Vorraum ist voller Knaben, die auf ihre Prüfung warten. Seid nicht so langsam, nehmt Rücksicht auf alle.“ „Aber wer beweist uns, dass der Junge zwölf Jahre alt und vom Tempel losgekauft ist?“ „Du kannst es mit den Schriften beweisen. Eine langweilige Sucherei, aber man kann es tun. Junge, du hast gesagt, dass du ein Erstgeborener bist?“ „Ja, Herr! Du kannst es überprüfen, denn ich wurde dem Herrn geheiligt und mit den erforderlichen Gaben losgekauft.“ „So wollen wir diese Eintragungen suchen ... “, sagt Josef. „Nicht nötig!“, antworten trocken die beiden Spitzfindigen. „Komm hierher, Knabe. Sag die Zehn Gebote“; das Kind sagt sie sicher auf. „Gib mir die Rolle, Jakob! So, nun lies, wenn du lesen kannst.“ „Wo, Rabbi?“ „Wo du willst. Wo dein Auge hinfällt“, sagt Asrael. „Nein! Hier. Gib her“, sagt Jakob, öffnet die Rolle bis zu einer gewissen Stelle und sagt dann: „Hier!“ „Alsdann sagte er zu ihnen insgeheim: ‚Preist den Gott des Himmels und lobt ihn vor allen Lebenden, denn er hat euch seine Barmherzigkeit erwiesen. Es ist gut, das Geheimnis des Königs verborgen zu halten, aber es ist auch ehrenhaft, es zu offenbaren‘ “ „Genug! Genug! Was bedeuten diese?“, fragt Jakobus und deutet auf seine Fransen am Mantel. „Die heiligen Fransen, Herr; wir tragen sie, um uns an die Vorschriften des Allerhöchsten Herrn zu erinnern.“ „Ist es einem Israeliten erlaubt, sich mit jedem Fleisch zu nähren?“, fragt Asrael. „Nein, Herr, nur mit solchem, das als rein erklärt worden ist.“ „Sag mir die Vorschriften ... “ Das fügsame Kind beginnt die Litanei der: ‚Du sollst nicht ... ‘ „Genug, genug! Als Galiläer weißt du sogar Zuviel.

Mann, nun ist es an dir, zu schwören, dass der Sohn volljährig ist ... “ Petrus sagt mit all dem Anstand, über den er nach der Marter noch verfügt, seinen kleinen väterlichen Spruch auf: „Wie ihr habt beobachten können, ist mein Sohn nach Erreichung des vorgeschriebenen Alters fähig, sich zu benehmen, da er das Gesetz, die Gebote, die Gebräuche, die Überlieferungen, die Zeremonien, die Segnungen und die Gebete kennt. Daher kann von mir und von ihm, wie ihr feststellt, die Volljährigkeit gefordert werden. Das musste wahrlich zuerst von mir gesagt werden! Aber es sind hier die Gebräuche verletzt worden, nicht von uns Galiläern, und der Knabe ist vor dem Vater befragt worden. Nun aber sage ich euch, da ihr ihn als fähig und volljährig anerkennt: ich bin von nun an nicht mehr verantwortlich für seine Taten, weder vor Gott noch vor den Menschen ... “ „Geht nun in die Synagoge.“

Die kleine Prozession begibt sich vor den misstrauischen Gesichtern der Rabbis, die Petrus zurechtgewiesen hat, in die Synagoge. Aufrecht vor den Pulten und den Lampen stehend, lässt Margziam den Haarschnitt über sich ergehen, der unterhalb der Ohren beginnt. Dann öffnet Petrus sein Bündel und entnimmt diesem einen schönen roten, mit Goldfäden bestickten Gürtel und bindet ihn dem Knaben um die Taille. Während die Priester an der Stirne und am Arm die Lederstreifen anbringen, beeilt sich Petrus, am Mantel, den ihm Margziam gereicht hat, die heiligen Fransen zu befestigen. Petrus ist sehr gerührt, als er das Loblied an den Herrn anstimmt! ... Die Zeremonie ist beendet. Sie machen, dass sie rasch wegkommen, und Petrus sagt: „Gott sei Dank! Ich hätte mich nicht länger beherrschen können. Hast du gesehen, Josef? Sie haben nicht einmal den Ritus eingehalten. Das ist bedeutungslos! Du ... du, mein Sohn, hast jemand, der dich weiht! Gehen wir, um ein Lämmlein für das Opfer zu kaufen zum Lob des Herrn. Ein liebes Lämmlein, wie du. Ich danke dir, Josef. Sage auch du ‚Danke‘ zu diesem großen Freund! Ohne dich hätten sie uns noch schlechter behandelt.“ „Simon, ich bin glücklich, dass ich einem Gerechten wie dir nützlich sein konnte, und ich bitte dich, in mein Haus nach Bezeta zum Mahl zu kommen. Und mit dir alle anderen, selbstverständlich!“

„Wir wollen zum Meister gehen und es ihm sagen. Für mich ist das zu viel Ehre!“, sagt Petrus demütig; aber er strahlt vor Freude. Sie gehen durch die verschiedenen Höfe bis zu dem der Frauen, wo Margziam von allen beglückwünscht wird. Dann treten die Männer in den Vorhof der Israeliten, wo Jesus mit den Seinen weilt. Sie versammeln sich alle in einer Gruppe voller Glück, und während Petrus geht, sein Lämmlein zu opfern, erreichen sie durch die Hallen und Höfe die äußerste Umfassungsmauer. Wie glücklich ist Petrus mit seinem Kind, das nun ein vollkommener Israelit ist! So glücklich, dass er die Falte nicht bemerkt, welche die Stirne Jesu teilt. So glücklich, dass er das bedrückende Schweigen der Gefährten nicht spürt. Erst im Saale des Hauses Josefs, als das Kind auf die Frage, was es in Zukunft zu tun gedenke, erklärt: „Ich will Fischer werden, wie mein Vater ... “, kommt Petrus unter Tränen zur Ernüchterung. „Oh, Judas hat uns einen Tropfen Gift in dieses Fest geträufelt ... und du bist betrübt, Meister ... und die anderen sind traurig darüber. Verzeiht alle, dass ich es nicht eher bemerkt habe ... Ach! Dieser Judas!“ Ich glaube, sein Seufzer ist in allen Herzen ... Aber, um das Gift von ihnen zu nehmen, bemüht Jesus sich zu lächeln und sagt: „Sei nicht traurig, Petrus. Es fehlt nur deine Frau zum Fest, und ich habe auch an sie gedacht ... Sie ist so gut und immer opferwillig! Aber bald wird sie ihre unerwartete Freude haben, und wer weiß, wie glücklich sie sein wird. Denken wir an das Schöne auf der Welt. Komm! Nicht wahr, Margziam hat gut geantwortet? Ich wusste es im Voraus.“ Josef kommt herein, nachdem er den Dienern Anweisung gegeben hat. „Ich danke euch allen“, sagt er, „dass ihr mich mit dieser Zeremonie verjüngt habt und mir nun die Ehre erweist, den Meister, seine Mutter, die Verwandten und euch, liebe Mitjünger, in meinem Haus zu empfangen. Kommt in den Garten! Dort gibt es Luft und Blumen ... “
Und alles ist zu Ende.

 

Wir danken dem Parvis Verlag für die Bereitstellung des Textes zur Veröffentlichung!

Maria Valtorta: Der Gottmensch - Leben und Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Parvis-Verlag
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Die einzelnen Kapitel der Niederschriften von Maria Valtorta sind auch kostenlos als Hörbuch hier anzuhören! Jeden Tag wird ein neues Kapitel dieses umfassenden Werkes auf YouTube veröffentlicht.