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Medjugorje und die Neu-Evangelisierung

Dr. Pater Ivan Dugandzic, Franziskanerpater

Inhalt dieser Seite

1. Der kirchliche und zeitliche Kontext Medjugorjes

    Medjugorje, beziehungweise das, was man darunter versteht, wenn man heute den Namen dieser kleinen Pfarrgemeinde in der Herzegowina erwähnt, hat jetzt schon eine 17 Jahre lange rege und vor allem unvorhersehbare Geschichte. Denn wer hätte vor 17 Jahren vorhersagen können, dass die Behauptung einiger Kinder, die Muttergottes gesehen zu haben, in die entferntesten Winkel der Welt dringen würde. Wer hätte geahnt, dass sich die Gemeinde von Medjugorje in solch ein Heiligtum verwandeln würde und dass sich durch diesen Ort eine derart rege geistige Bewegung entwickeln würde, die man nicht einfach gleichgültig hinnehmen kann. Die Erfahrung der Kinder auf dem Podbrdo in Bijakovici, die inhaltsreichen Botschaften, die sie überbringen und ihr standhaftes Zeugnis hat die Gemeinde und die örtliche Kirche schon seit langem überholt und gilt nun als geistiges Phänomen von weltweitem Ausmaße. Die Kinder sind schon längst keine Kinder mehr. Zum überwiegenden Teil gründeten sie eigene Familien, während die kleine Gemeinde zu einem Sammelpunkt von Millionen von Pilgern aus der ganzen Welt wurde. Unter ihnen gibt es viele die bezeugen, in Medjugorje ihren verlorenen Glauben wiedergefunden zu haben. Viele von ihnen entdeckten erneut den Wert des Sakramentes der Versöhnung, die Tiefe und Schönheit der erlebten Eucharistiefeier und des Wortes Gottes. Andere wiederum geben Zeugnis von körperlichen Heilungen, für die es in der Medizin keine Erklärungen gibt. Von Medjugorje inspiriert und angeregt gründeten Medjugorje-Pilger und -Freunde zahlreiche Gebetsgruppen und völlig neue Ordensgemeinschaften sowohl in der Gemeinde selbst, als auch weit von ihr entfernt. Viele jungen Menschen fanden in diesen Jahren den Weg zum priesterlichen Leben und behaupten, den Keim ihrer Berufung in Medjugorje erhalten zu haben.
    Wenn wir das alles als gute Früchte von Medjugorje betrachten, dann verwirklichte sich bereits das Wort des weisen Gamaliels, dass man nicht vernichten kann, was von Gott kommt (vergl. Apg 5,39). Tatsache ist, dass sowohl die Seher, als auch ihre Eltern und die Gemeinde mit ihren Priestern seit Beginn der Erscheinungen dem Druck und den Drohungen der Regierung ausgesetzt waren, die alles im Keim ersticken lassen wollte. Trotz all diesem Druck gaben sie niemals nach, obwohl man ihnen sogar mit Verfolgung drohte. Der damals zuständige Bischof war den Ereignissen zu Beginn wohlgesinnt, wandte sich dann aber plötzlich aus völlig unerklärlichen Gründen gegen sie. Die Bischofskonferenz versuchte eher aufgrund des Druckes aus der Öffentlichkeit als aus eigenem Willen herauszufinden, welcher Geist in Medjugorje wirkt und versuchte ausgleichend zu wirken, als sie Medjugorje als Heiligtum anerkannte und dabei gleichzeitig betonte, daß es nötig sei, dieses Phänomen weiterhin zu untersuchen. Eine solche Stellung der Bischöfe erscheint nur dann logisch, wenn man voraussetzt, dass sie beim gegenwärtigen Stand der Ereignisse und Untersuchungen noch kein positives, vor allem aber kein negatives Urteil fällen konnten. Denn wenn sie wirkliche Gründe gegen Medjugorje gehabt hätten, dann hätten sie zumindest das letztere sofort tun müssen. Zu Missverständnissen kam es aufgrund späterer Aussagen einzelner Mitglieder dieser Bischofskonferenz, die man interpretieren könnte, als ob es in Medjugorje nichts Übernatürliches gäbe. Dies hatte zur Folge, dass Medjugorje in großer Zahl christliche Laien anzieht, nicht aber auch die Hierarchie. Deshalb stellen die Medien auch immer wieder die Frage nach der Anerkennung seitens der offiziellen Kirche. An dieser Stelle muss herausgehoben werden, dass diese Frage am häufigsten diejenigen stellen, die weder etwas über das Wesen solcher Erscheinungen wissen, noch darüber, wie sich die Kirche ihnen gegenüber zu verhalten hat. Das ist der derzeitige kirchliche Kontext, in dem die Ereignisse von Medjugorje stattfinden.
    Um die Bedeutung und die Tragweite dieser Ereignisse verstehen zu können, ist es ebenfalls von großer Bedeutung, den zeitlichen Kontext, in dem sie stattfinden, zu betrachten. Als die Erscheinungen begannen, ließ sich das Ende der nahezu ein Jahrhundert dauernden Diktatur des gottlosen Kommunismus erahnen, wozu es kurz danach auch kam. Dies war eine der größten geistigen Herausforderungen an die moderne Menschheit, nicht nur wegen des Zusammenbruches der Illusion von einer glücklichen, klassenlosen Gesellschaft und einer Gleichheit aller, sondern vor allem wegen der geistlichen Situation von hundert Millionen Menschen, die Generationen hindurch ohne Gott und die wahren geistigen Werten erzogen worden waren. Auf der anderen Seite wurde in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein großer Teil der Menschen, die sich außerhalb der Reichweite des Kommunismus befanden, von einer bisher nicht gekannten Welle des Hedonismus ergriffen, der mit seinem Missbrauch von Drogen und Sexualität schädliche Früchte für die gesamte Menschheit mit sich brachte, so dass sich diese bereits in ihrer Existenz bedroht sah. Dies ist der zeitliche Kontext, in dem die Ereignisse von Medjugorje stattfinden. Es sind Zeichen, die auf etwas hindeuten. Dabei hatte schon Jesus seine Zeitgenossen darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen (vergl. Mt 16,3). Das tut im Prinzip auch die Kirche: in unserer Zeit von höchster Stelle aus im Zweiten Vatikanum (Gaudium et spes, Nr. 4). Aber es scheint, dass es in der Kirche nicht genug Menschen gibt, die diese Ermahnungen wirklich ernst nehmen. Andererseits erkannten Menschen mit scharfsinnigem Geist in Medjugorje die Antwort Gottes auf die Bedürfnisse und Bedrängnisse unserer Zeit. Dies gilt für zahlreiche Theologen, Priester und Bischöfe, die sich, als sie Gottes Werk hier erkannten, nicht fürchteten, dies auch öffentlich zu bezeugen, einige von ihnen sogar mit grundlegenden Studien und Büchern.
    Medjugorje können wir folglich nicht isoliert wie eine Insel betrachten, auf die wir uns hinflüchten, weil wir es in der Welt nicht mehr aushalten, um dort dann einen Ersatz für die Kirche zu finden, die sich in der heutigen Welt am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr zurechtfindet. Ganz im Gegenteil: Medjugorje ereignet sich inmitten unserer Welt, die Gott braucht, um überhaupt eine Zukunft gewährleisten zu können. Medjugorje ereignet sich in der Kirche, um sie aus ihrer Verwirrtheit herauszureißen, in die sie die riesigen Herausforderungen gebrachten haben und um in ihr den Geist ihrer Anfänge wiederzubeleben. Der tiefere Sinn der Ereignisse von Medjugorje scheint es nicht zu sein, noch eine weitere geistige Bewegung in der Kirche entstehen zu lassen, sondern die Kirche als solche anzuregen und sie ihre Berufung in der heutigen Welt erkennen zu lassen; sie soll verstehen, wie groß ihre Verantwortung für die Zukunft der Welt ist, die aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt wurde. Natürlich wird dies nur derjenige erkennen, der begreift, dass auch aus dem bedeutungslosen Nazareth etwas Gutes kommen kann (vergl. Joh 1,46) und dass Gott immer durch die Kleinen und Bedeutungslosen wirkt.

2. Geistige Bewegungen in der Kirche und in Medjugorje

    Die Kirche Jesu war sich von Beginn an bewusst, dass sie ihre Existenz dem Wirken des Heiligen Geistes verdankt, den er verheißen hatte und zu seiner Zeit auch sandte (vergl. Lk 24,49; Apg 1,4; 2,1; Joh 14,16, 26; 16,7-14). Dies gilt nicht nur für die Urgemeinde in Jerusalem, der Jesus dies verheißen hatte, sondern auch für alle anderen. So erinnert Paulus die Galater daran, "im Geist angefangen zu haben" (Gal 3,3) und ruft die Thessalonicher auf, "den Geist nicht auszulöschen" (1 Thess 5,19). Als er die Christen in Rom aufruft, "sich dieser Welt nicht gleichzustellen, sondern sich zu ändern durch Erneuerung des Sinnes, damit sie prüfen können, was Gottes Wille ist" (Rom 12,2), setzt Paulus erneut den Heiligen Geist als Erneuerungskraft voraus, die durch die Taufe schon in den Christen vorhanden ist (vgl. Rom 8,9). Dies ist, zuwahr, nicht die definitive, vollendete Erlösung, dies sind nur die ersten Früchte des Geistes, die dem Christen aber ausreichen, gemeinsam mit der gesamten Schöpfung die Geburtswehen auszustehen, die noch bevorstehen (8,23-27).
    Darauf baute die Kirche jahrhundertelang ihr Bewußtsein über sich selbst als eine "Kirche, die sich immerzu erneuern muss" ("Ecclesia semper reformanda") auf. Der Geist Gottes fand in verschiedenen Zeiten immer neue Methoden, um diese innere Glut und das innere Leben in immer neuen Formen zum Ausdruck zu bringen. "Das Wort zur Kirche, die sich ständig im Laufe der Jahrhunderte erneuern muss, kennzeichnete bedeutend die Geschichte der Kirche. Immer aufs Neue meldeten sich innere Bewegungen, die versuchten, grundlegend nach dem Evangelium zu leben, wie z. B. die von Benedikt von Nursia, Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi und Ignatius von Loyola gegründeten Ordensgemeinschaften."(1) Man muß zugeben, dass alle erwähnten Orden, aber auch zahlreiche andere, zu ihrer Zeit eine tiefe Erneuerung der Kirche bedeuteten. Ihr Charisma leuchtete jahrhundertelang und prägte das allgemeine geistige Leben der Kirche und der Welt. Aus diesem Grund war auch der Begriff "Nachfolge Christi" in der geistigen Lehre und Theologie beschränkt auf den Ordensstand, was sicherlich nicht im Geiste des Neuen Testamentes ist. Denn das Neue Testament kennt keine zweifältige Moral, die bedeuten würde: für die einen nur den Weg der Gebote, für die anderen die sehr hohen Anforderungen der Nachfolge. Es existiert nur ein Weg und zwar der des gemeinsamen Ideals des christlichen Lebens und das ist die Nachfolge Jesu Christi. Er betrifft die gesamte Kirche und zwar überall und zu jeder Zeit. Etwas anderes aber ist die Tatsache, dass man dieses Ideal auf verschiedene Weise verwirklichen kann.
    Das Zweite Vatikanische Konzil war darum bemühmt, dies zu berichtigen, indem es die Dignität, Wichtigkeit und Sendung des christlichen Laien in der heutigen Welt betonte. In der Dogmatischen Konstitution über die Kirche lesen wir: "Deshalb sind die Laien Christus geweiht und mit dem Heiligen Geist gesalbt und dadurch wunderbar dazu berufen und ausgerüstet, dass immer reichere Früchte des Geistes in ihnen hervorgebracht werden." (LG, Nr. 34). Damit bestätigte das Konzil genau das, was sich damals in der Kirche schon ereignete und gab gleichzeitig weitere Anregungen zu neuen Bewegungen. Neben schon existierenden Laienbewegungen, wie z. B. Fokolarini, Cursillo, Opus Dei, Comunione e Liberazione, Marriage Encounter, erschienen nach dem Konzil weitere verschiedene Formen der Erneuerung im Geiste, ob es sich nun um die Erneuerung des Einzelnen handelt, verschiedener Stände durch die Erneuerung und Belebung der Gnade des betreffenden Sakramentes oder sogar um die Erneuerung der Pfarrgemeinden. All diesen Bewegungen gemeinsam ist das Anliegen, eine für unsere Zeit geeignete Form der Geistigkeit zu entwickeln, "Geistigkeit als Anregung zur Erneuerung der menschlichen Meinung und des Willens aus dem Geiste des Evangeliums, verbunden mit dem Streben nach der Erfahrung des Glaubens in Gemeinsamkeit, was neue Wege zum Gebet, zum Worte Gottes und zu den Sakramenten öffnet."(2)
    Wir können sagen, dass damit die Koordinaten gegeben sind, in die wir Medjugorje ohne Schwierigkeiten als besonderes geistiges Phänomen unserer Zeit einordnen können. In Medjugorje entwickelt sich seit Beginn an eine ausgesprochene Spiritualität von Laien, denn die Seher sind Laien und ihre Botschaften finden zum größten Teil Anklang bei christlichen Laien, die dazu angeregt werden, sich noch mehr aus dem Geiste des Evangeliums zu erneuern und sich dem Gebet, dem Worte Gottes und den Sakramenten zu öffnen. Von Anfang an stehen im Mittelpunkt der Medjugorjebewegung die Eucharistie, die Verkündigung des Gotteswortes, das Sakrament der Buße und das Gebet, aber all dies wird auf eine völlig neue und kraftvolle Art erlebt. In diesem Sinne lässt sich Medjugorje nicht in irgendeine bekannte geistige Bewegung einordnen, doch es ist eine Bewegung, die in großem Maße zur Erneuerung in der ganzen Welt beiträgt. Im Grunde genommen ist die Spirituälität von Medjugorje nicht irgendeine geistige Bewegung in der Kirche, sondern die Kirche in Bewegung, da sie gleich anziehend und herausfordernd ist für alle, für den einfachen Gläubigen, als auch für hochgelehrte Theologen, für Priester, Bischöfe und Kardinäle. Wenn man die erwähnten wichtigen Elemente der Spirituälität von Medjugorje miteinander verbindet, dann scheint es, als könne man sie am besten beschreiben und definieren mit dem, was man heute unter dem so oft gebrauchten Begriff "Neu-Evangelisierung" versteht.

3. Neu-Evangelisierung und Medjugorje

    Die ersten christlichen Gemeinschaften hatten ein starkes Bewusstsein ihrer missionarischen Sendung. Gegen Ende des ältesten Evangeliums, des Markusevangeliums, steht das Wort des Auferstandenen an seine Jünger: "Geht hin in die ganze Welt und predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung!" (Mk 16,15). Nachdem er sehr kurz über Jesus Himmelfahrt berichtete, konstatiert der Evangelist: "Jene aber gingen aus und predigten überall, während der Herr mitwirkte und das Wort durch die darauf folgenden Zeichen bestätigte" (16,20). Dies ist sicherlich nicht nur die Bestätigung dafür, dass die Jünger Jesu Auftrag folgten, sondern vielmehr eine immer neue Anregung an die Leser des Evangeliums, dies auch konstant zu tun. Auch Matthäus ist es nicht entgangen, sein Evangelium mit diesem Auftrag zu beenden, obwohl er ihn im Geiste der theologischen Konzeption seines Werkes gewissermaßen modifizierte: "Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern!" Das dies eine unbegrenzte Sendung für alle Zeit ist, vor der sich die Jünger allerdings nicht zu fürchten brauchen, ergeht auch aus der zusätzlichen Erklärung: "Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters"
(Mt 28,19). Lukas deutet diese Predigt im Lichte seiner geschichtsheilenden Vision als Erfüllung der Schrift, die geschehen muss und zwar mit Jerusalem beginnend. Und da nach seiner Theologie der Heilige Geist der Hauptträger aller Ereignisse ist, müssen die Jünger in Jerusalem bleiben bis er kommt, und dann zu seinen Zeugen werden (vergl.
Lk 24,45-49). Die Apostelgeschichte beginnt mit der Erinnerung an diese Verheißung
(Apg 1,4) und mit der Predigt über seine Erfüllung am Pfingsttag, als die Frohe Botschaft nicht nur in Jerusalem, sondern auch inmitten der Vertreter von etwa fünfzehn Völkern erscholl, die sich gerade in Jerusalem aufhielten (Apg 2,1-13).
    Sein großes Werk, das wir als Geschichte der ersten Kirche bezeichnen können, beendet Lukas mit der siegreichen Behauptung vom Triumph des Evangeliums in Rom, trotz der Gefangenschaft des Paulus: "Paulus aber blieb zwei volle Jahre in seiner eigenen Wohnung, ..., predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit aller Freimut ungehindert" (Apg 28,30). Dieses Ende blieb bewusst auf diese Weise offen, so dass es eine bleibende Perspektive des Evangeliums darstellen kann. Aber es muss noch hinzugefügt werden, dass diese schnelle und erfolgreiche Verbreitung des Evangeliums im riesigen Römischen Reich und in seinem Mittelpunkt Rom keinesfalls ohne Widerstand und große Schwierigkeiten vonstatten ging. Die Judeochristen freundeten sich nur sehr schwer mit der Evangelisierung Samariens an (vergl. Apg 8;
Joh 4) und mit Paulus` Hartnäckigkeit, den Heiden das Evangelium ohne Gesetzauferlegung zu verkünden (vergl. Gal 1-2). Es schien, als würde unter diesen Umständen das Wirken des verheißenen Heiligen Geistes nicht ausreichen, so dass sich Gott zusätzlich noch außerordentlicher Eingriffe wie dem Erscheinen des Petrus im Hause des Kornelius (Apg 10) bediente, aber auch rein menschlicher Bemühungen wie der Auseinandersetzung des Paulus mit Petrus in Antiochia, in der es um die überaus wichtige Frage von dem Verhältnis des Evangeliums zum Gesetz des Mose ging, was für die Kirche von weitreichender Bedeutung war (Gal 2,11-14), oder sogar mit der Versammlung und Schlussfolgerung des Apostolischen Rates in Jerusalem (Apg 15).
    In der langen Geschichte der Kirche handelte Gott immer auf ähnliche Weise. Wann immer die Kirche kraftlos wurde oder sich konfrontiert sah mit schwer lösbaren Problemen, sandte Gott besondere Menschen oder bediente sich ungewöhnlicher Eingriffe, am häufigsten waren es Erscheinungen der Gottesmutter, zu denen auch die Erscheinungen von Medjugorje zählen. Die Absicht Papst Johannes XXIII. mit der Einberufung des II. Vatikanischen Konzils war es, eine adäquate Methode zu finden, dem modernen Menschen das Evangelium zu verkünden. Die Konzilsväter analysierten bis in kleinste Details den Zustand der modernen Welt, ihre Bedürfnisse und Hoffnungen, aber auch ihre Bedrängnisse und Ängste vor der Zukunft und betonten, dass der riesige Fortschritt auf allen Gebieten die wichtigsten Fragen des Menschen im Hinblick auf sein wirkliches Glück und seine Zukunft nicht klären, so dass unsere Zeit vergleichbar gute und schlechte Aussichten habe. Das Konzil sieht die Hauptursachen dafür in der Zerteiltheit des menschlichen Herzens und in seinem unlöschbaren Bedürfnis nach Gott, das die Kirche zufriedenstellen möchte (vergl. GS, Nr. 4-10). Man kann nicht sagen, die Kirche hätte die Beschlüsse des Konzils nicht mit großer Strebsamkeit in der ganzen Welt durchzuführen versucht, aber dennoch blieben die wahren Früchten aus. Und während die einen meinen, dass man die Geduld nicht verlieren solle und darauf hinweisen, dass auch andere Konzile viel Zeit gebraucht hätten, bis sich ihre Früchte zeigten, gibt es auf der anderen Seite kritische Geister, die mit dem Finger auf die wunden Punkte hindeuten und betonen, dass die Kirche in ihrer mächtigen Konzilserneuerung nicht mit dem Heiligen Geist gerechnet hätte und ihm keine ausreichende Gelegenheit dazu gab, die Kirche aus dem Gebet zu erneuern und dadurch der Welt neue Hoffnung zu geben, wie das am Beginn durch die Gemeinschaft der Jünger Jesu im Gebet mit Maria geschah. Dies fasste am besten Papst Paul VI. in einer seiner Ansprachen zusammen: "Nach der Christologie und besonders nach der Ecclesiologie des Konzils muss es zu einem neuen Stadium und einem neuen Kult des Heiligen Geistes kommen als unumgängliche Ergänzung zur Lehre des Konzils" (Generalaudienz am 06.07.1973). Yves Congar, einer der prominentesten Theologen dieses Jahrhunderts, wirft dem Konzil vor, dass es, als es seine Lehre entwickelte, die Pneumatologie vergaß, d. h. die Lehre vom Heiligen Geist und fügte dem sofort hinzu, dass dies nur dann und dort möglich sei, wo der Geist schon wirkt: "Die Pneumatologie als Theologie und Dimension der Ecclesiologie kann sich nur vollkommen entwickeln dank der Tatsache, dass die Kirche schon verwirklicht ist und lebt. Und gerade auf diesem Gebiet hängt die Theologie sehr von der Praxis ab."(3) So war es seit dem Beginn der Kirche. Die Liturgie mit der Eucharistiefeier und der Verkündung des Wortes Gottes war ein „locus theologicus", ein Ort, an dem die neutestamentliche Theologie geschaffen wurde. Ich erlaube mir zu sagen, daß Medjugorje der zeitgenössischen pastoralen Theologie bisher schon viele Anregungen gab, um den fruchtlosen Rationalismus zu überwinden und dem Wirken des Heiligen Geistes mehr Raum zu schenken.
    Die bereits seit fünfzehn Jahren in zahlreichen päpstlichen Dokumenten angekündigte und vorbereitete Neu-Evangelisierung wird in Medjugorje die ganze Zeit über verwirklicht. Dort wird das Evangelium mit der ganzen Ernsthaftigkeit, die von den Verkündern gefordert wird, weitergegeben und verkündet und gerade deshalb von Millionen Hörern als Frohe Botschaft von Gott, der liebt und vergibt, erlebt; in ihm wurde der vergrabene Schatz entdeckt und die kostbare Perle gefunden, für die es sich lohnt, alles andere zu opfern (vergl. Mt 13,44-46). Wenn man sich die Hauptpunkte anschaut, die im Programm der Neu-Evangelisierung herausgehoben werden, dann stimmen sie in großem Maße mit den Botschaften von Medjugorje überein. Wir werden nur die wichtigsten vergleichen.
    Das Apostolische Schreiben Papst Paul VI. Evangelii Nuntiandi (vom 8. Dezember 1975) hebt als wichtigsten und ausschlaggebendsten Weg der Neu-Evangelisierung das Zeugnis vom wahren christlichen Leben hervor, das einen neuen Menschen voraussetzt, der nur möglich ist durch Bekehrung und innere Verwandlung im Geiste des Evangeliums. In diese Richtung geht auch das Apostolische Schreiben Papst Johannes Paul II. Catechesi Tradendae (vom 16. Oktober 1979) wie auch die Sonderversammlung der Bischofssynode 1985. Dasselbe drückt auch das Schlussdokument der Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (1991) mit dem bezeichnenden Titel: "Damit wir Zeugen Christi sind, der uns befreit hat" aus. Heute genügt es nicht mehr, nur das Evangelium zu predigen, es werden authentische Zeugen gesucht, denn die Kirche verlor in großem Maße ihre Kredibilität beim zeitgenössischen Menschen. Einer der Bischöfe, dem die Zukunft des Christentums im eigenen Land und das Schicksal der Neu-Evangelisierung am Herzen liegt, warnt: "Was die Kirche zu sagen hat, kann zwar richtig sein, aber doch macht es den Menschen nicht froh und frei."(4) Mit anderen Worten, das Evangelium hat seine Überzeugungskraft verloren, weil die Verkünder nicht ausreichend froh und frei sind, sie sind keine Zeugen. Das erwähnte Apostolische Schreiben besagt, dass sich dieses Zeugnis des christlichen Lebens mit "der Übergabe an Gott in Gemeinschaft, die nichts zerstören darf, und gleichzeitig mit der Übergabe an den Nächsten in unbegrenzter Bereitschaft zum Einsetzen" auszeichnen soll (Evangelii Nuntiandi, Nr. 41). Das ist nichts anderes als eine Erinnerung an die Verwirklichung des zweifachen Gebotes Christi von der Liebe in den Bedingungen der zeitgenössischen Welt, was in Medjugorje augenscheinlich am Werke ist. Die Spiritualität von Medjugorjes hat von Beginn an einen betont karitativen Zug, der die Menschen empfindlich macht auf die Bedürfnisse ihrer Brüder, was sich in zahlreichen wunderbaren Beispielen selbstloser Großzügigkeit in der Zeit des kürzlich vergangenen Krieges in Kroatien und in Bosnien und Herzegowina zeigte.

4. Gott wieder in das menschliche Leben aufnehmen

    Alle bisher erwähnten kirchlichen Dokumente sind sich zutiefst der wirklichen Lage der Welt, besonders aber der Lage Europas bewusst. Mit dem Zusammenbruch der marxistischen gottlosen Ideologie verschwand aber nicht der praktische Materialismus, der die Lebensweise vieler unserer Zeitgenossen kennzeichnet. Die ehemals bissige Diskussion zum Thema, ob es Gott gibt oder nicht, wich nun einer gleichgültigen Art des Lebens, in der die Menschen denken und handeln, "als ob es Gott nicht gäbe". Trotzdem scheint es, als wandten sich die Menschen nicht gegen den wirklichen Gott, sondern gegen denjenigen, den ihnen die Kirche auf unglaubwürdige Art und Weise verkündet. Obwohl diese Welt vom praktischen Materialismus überflutet wurde, lebt doch in vielen Menschen die stille Sehnsucht nach Gott, was aus der Tatsache hervorgeht, dass die Zahl verschiedener Sekten und esoterischen Gruppen zunimmt. Das Evangelium hat, trotz allem, immer eine Chance, falls es die wirkliche Antwort auf die Sehnsucht des menschlichen Herzens ist, das heißt, falls es den Menschen als befreiende Frohe Botschaft verkündet wird, was wiederum nur Menschen des Evangeliums tun können.
    Der bereits erwähnte Bischof beklagt sich, dass die Verkündigung zahlreicher Priester ohne Erfolg bleibt, weil in unseren Herzen nicht mehr der lebendige Gott innewohnt, so dass auch unser Wort keine Sehnsucht nach Gott verrät. Sich für die Schärfe seiner Worte entschuldigend, fragt er sich: "Ist dies nicht so, weil viele von der Kirche leben, nicht aber wirklich in ihr, in ihrem echten Geheimnis?"(5) Und wahrhaft, heute werden nicht nur einzelne Wahrheiten und bestimmte Bereiche des konkreten kirchlichen Lebens in Frage gestellt, sondern Gott selbst und zwar durch diejenigen, die den anderen den Weg zu ihm zeigen sollten. Und gerade aus diesem Grund konstatiert die erwähnte Sonderversammlung der Synode für Europa ohne Umschweife: "In der Tat befindet sich ganz Europa heute vor der Herausforderung, eine neue Entscheidung für Gott zu treffen."(6)
    Wenn man unter diesem Gesichtspunkt die Botschaften von Medjugorje betrachtet, dann fällt es nicht schwer, eine große Übereinstimmung zu entdecken. Trotz der Tatsache, dass zu Beginn konkrete Friedensbotschaften, Bekehrungen, Gebete, Fasten... im Vordergrund standen, kam mit der Zeit immer mehr Gott und das Verhältnis zu ihm in den Mittelpunkt dieser Botschaften, und zwar in den verschiedensten Varianten: dies sind wiederholte Aufrufe an den Menschen, sich für Gott zu entschließen, der sich ihm anbietet; ihm die erste Stelle im Leben zu geben, da sie ihm zukommt; aber ebenso, ihm alles zu übergeben, vor allem aber die Lasten des Lebens; der Mensch ist dazu aufgerufen, Gott für seine Gaben zu danken und ihn in seinem Leben zu preisen; zahlreiche Botschaften weisen darauf hin, dass es nur im Gebet möglich ist, Gott kennenzulernen, und zwar im Gebet, das aus dem Herzen kommt. Es gibt mehrere Botschaften, die auf diese Weise von der Offenbarung Gottes an den Menschen sprechen, die man in dem Sinne verstehen soll, dass die Offenbarung Gottes an die Menschen eigentlich das Hauptziel dieser Geschehnisse darstellt: "Liebe Kinder! Heute lade ich euch zum Weg der Heiligkeit ein. Betet, damit ihr die Schönheit und die Größe dieses Weges erfasst, auf dem Gott sich euch auf besondere Weise offenbart" (25.01.1989), oder später: "...Deshalb, meine lieben Kinder, öffnet euch mir ganz, damit ich euch mehr zu dieser wunderbaren Liebe Gottes, des Schöpfers, führen kann, der sich euch von Tag zu Tag offenbart. Ich bin mit euch und möchte euch Gott, der euch liebt, offenbaren und zeigen" (25.08.1992). Man könnte folglich sagen, dass Medjugorje viel mehr ist, als ein Ort des Gebetes und der Bekehrung, es ist vor allem ein Ort, an dem Gott ein Zeichen geben will, das die menschliche Sehnsucht nach ihm nicht wertlos und dass der Weg zu ihm auch heute möglich ist, denn er kommt dem Menschen entgegen.

5. Rolle der Ortskirche

    Der bekannte deutsche Theologe und Bischof Karl Lehmann machte sich Gedanken darüber, wie die Neu-Evangelisierung konkret auszusehen hätte, um erfolgreich zu sein, und kommt zum Schluß: "In Zukunft werden wir Orte, Bewegungen und Gemeinschaften brauchen, in denen sich die Menschen mit entschiedenem Willen zum Leben versammeln, gemeinsam lernen und sich gegenseitig helfen. Diese Stärkung des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe braucht die Menschheit immer mehr, vor allem jetzt, wo sich das Christentum in einer diasporischen Situation befindet. Nur so kann der Glaube wieder offensichtlich werden und ein klares Profil bekommen."(7) Medjugorje ist nahezu seit zwei Jahrzehnten ein Ort, an dem die Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um gemeinsam zu beten, ihren Glauben zu vertiefen und eine Gemeinschaft in zahlreichen Gebetsgruppen, Bewegungen und neuen Formen gemeinsamen Lebens zu bilden. Dies alles wäre natürlich viel kraftvoller und überzeugender, wenn die Lage in der Ortskirche andere Formen hätte, wenn sie in ihrem Innern nicht aufgeteilt wäre. Diese Lage wirkt auf viele Menschen zumindest verwirrend, so dass sie auch bereit sind, Medjugorje in Frage zu stellen.
   Möge es mir erlaubt sein, meine Meinung darüber zu äußern, die aus der Erfahrung dieser 17 Jahre Medjugorje, aus theologischen Reflexionen und aus dem Gebet hervorgeht. Oft drängte sich mir in dieser Zeit jenes Wort Jesu vom Schwert auf: "Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern das Schwert" (Mt 10,34). Der Weg zum wahren Frieden führt über die Entscheidung für Jesus. Diese Entscheidung duldet keine Kompromisse. Er ist selbst wichtiger als der Nächste, vor allem aber wichtiger als irgendwelche Interessen. Auf dem Weg zum wahren Frieden mit sich selbst, mit den anderen und mit Gott muss der Mensch zahlreiche Versuchungen bewältigen, die Jesus metaphorisch als Schwert bezeichnet. Trifft dieses Wort Jesu nicht auch auf Medjugorje und seine Stellung in der Ortskirche zu?
    Tatsache ist, dass sich Medjugorje in einer Kirche ereignet, in der lange Zeit zuvor der sogenannte „Herzegowinische Fall" stattfand, der eine große Herausforderung für die Einheit und Liebe in dieser Kirche darstellte. Dieser Fall ist der Grund, weshalb die Einheit und Liebe nicht nur im Verhältnis zwischen dem Bischof und seinen Priestern und den Franziskanern auf der einen Seite, sondern auch innerhalb der Franziskanischen Gemeinschaft auf der anderen Seite leidet. Die Kirche in der Herzegowina war also schon vor Beginn der Erscheinungen auf mehreren Niveaus uneinig. Medjugorje war folglich nur eine neue Gelegenheit, um diese Uneinigkeit noch offensichtlicher zu machen. Einige Franziskaner kamen nie nach Medjugorje, nicht deshalb, weil sie aufgrund ernsthafter Betrachtungen und Studien zur Überzeugung gekommen wären, dass es hier nichts Übernatürliches gibt, sondern nur deshalb, weil dort einige ihrer Mitbrüder waren, mit denen sie sich in einigen Punkten nicht verstanden, besonders aber was den „Herzegowinischen Fall" betrifft. Als sich Bischof Zanic gegen Medjugorje wandte, drängten sie sich ihm als Gleichgesinnte auf, aber nur in Sachen Verurteilung und Ablehnung Medjugorjes. Allerdings taten sie nichts zur Aufklärung des „Herzegowinischen Falles". Im Gegenteil, in Capljina erlebt dieser gerade den Höhepunkt seiner Absurdität.
    Ist dies vielleicht gleichzeitig das Zeichen dafür, dass es in der Kirche der Herzegowina wirklich Schwerte gab und dass nun die Zeit gekommen ist für den Frieden? Die Franziskaner, die sich gegen den Willen ihrer Vorsteher in Capljina aufhalten, berufen sich gemeinsam mit ihren Unterstützern hauptsächlich auf die Gründe der Gerechtigkeit: mit Hilfe der Gerechtigkeit begeht der Bischof Ungerechtigkeit! So lautet ihr Hauptargument. Aber es scheint nicht durchzukommen, während die Einheit und Liebe in der Kirche immer größeren Versuchungen ausgesetzt werden. Es stellt sich nun auch die Frage nach dem Wesen der Kirche als solche. Was ist zu tun? Dem Menschen, der das Evangelium bis zuletzt ernstnimmt, auch dann, wenn es scheint, als ob alle Möglichkeiten erschöpft sind, bleibt noch immer eine Möglichkeit, wohlwahr die schwerste, aber diejenige, auf der das Christentum beruht, und das ist das Aufopfern bis zur Selbstübergabe. Ein Opfer fällt immer schwer, vor allem, wenn es würdelos erscheint. So schien auch das Opfer Jesu, aber es erntete den größten Erfolg, die Auferstehung. Ein großer Teil der Franziskaner, die während all dieser Jahre treu zu Medjugorje standen, ist zu diesem Opfer bereit, so dass es auch die Provinzverwaltung akzeptierte. Dennoch bedarf es wegen der bereits komplizierten Beschaffenheit der Umstände einer großen Weisheit von seiten aller Verantwortlichen in der Kirche, damit alles zur Einheit und Liebe in der Kirche der Herzegowina gelangen kann, was dann auch ein kraftvolles Zeugnis für Medjugorje und ein Beitrag zur so notwendigen Neu-Evangelisierunmg der Welt sein wird.

Quellennachweis

www.medjugorje.hr