Der Begriff der Erscheinung und der Vision in der Theologie
Dr. Pater Ivan Dugandzic, Franziskanerpater
Man muß sagen, daß die Theologie, die die Aufgabe hat, im Dienst des Glaubens und des Lebens in der Kirche zu stehen, keine leichte Stellung in unserer Zeit hat. Es wird von ihr verlangt, im Dienst der Praxis zu sein, und diese Praxis ist oft sehr komplex. Auf der einen Seite befinden sich die, für die die Praxis mit einem Verhalten identisch ist, welches gewöhnlich und erfahren ist und keine Neuerungen verträgt. Das sind diejenigen, die eine Theologie, die dem Neuen Vorrang gibt, als gefährlich einschätzen. Auf der anderen Seite steht die Praxis einer religiösen Erfahrung, die an Erscheinungen gebunden ist und von diesen bestimmt wird, oder die an unterschiedliche Formen der charismatischen Bewegung gebunden ist. Hier besteht die Gefahr, die Theologie als zu trocken einzuschätzen und sie im Namen einer Erfahrung als zu mangelhafte Überzeugung zu verwerfen.
Es ist wichtig, nicht zu erlauben, daß eine gewisse Praxis der Theologie vorgezogen wird und umgekehrt, weder von der einen, noch von der anderen Seite. Und die Theologie selbst darf nicht die Praxis verwerfen. Da, wo die Erfahrung der Gläubigen fehlt, muß sie sie anregen, und da, wo sie bereits besteht, muß sie darüber wachen, daß diese Erfahrung nicht in eine falsche Richtung zielt, die nicht wünschenswert wäre. "Nichts, was gut und richtig in diesen neuen Erfahrungen ist, soll verloren gehen oder erstickt werden, aber auch nichts, was mit den christlichen Mysterien unvereinbar ist, darf sich einschleichen und aufzwingen. Es ist bekannt, daß in Momenten der Krise in der Welt und in der Kirche der religiöse Geist stark zu einer gefühlsmäßigen und spürbaren Erfahrung des Jenseits hintendiert, um Tröstung für das Jetzt und Verheissung für das Zukünftige zu haben. Die Theologie muss hier das Überschwengliche und Krankhafte vom Gesunden und Guten unterscheiden, d.h. was mit dem Glaubensgut und den traditionellen Wegen des Heils vereinbar ist.
Worin liegt letztendlich die Bedeutung von Erscheinung und Vision? Im weiten Sinne sind es "geistliche Erfahrungen", die auf eine natürliche Art und Weise den körperlichen Sinnen die unsichtbaren Realitäten, wie Gott, Engel und Heilige, wie auch die geschaffenen Dinge, zugänglich zu machen und das mit dem übernatürlichen Ziel des Heils des Menschen. Es kann sich auch um Ereignisse handeln, die entweder in räumlicher Entfernung sind oder in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegen."(7) Die gesunde christliche Tradition hat niemals an der Möglichkeit dieser Phänomene gezweifelt, denn sie war sich dessen bewußt, daß so das Bild Gottes in Frage gestellt würde, welcher nicht nur frei am Anfang der Schöpfung der Welt war, sondern sich ständig diese Freiheit hinsichtlich seiner Schöpfung bewahrt hat.
Dadurch, daß die Offenbarung mit dem Neuen Testament erfüllt ist, bewahrt Gott, der in einer gewissen Partnerschaftsbeziehung zur Welt und zum Menschen steht, seine Freiheit, in der menschlichen Geschichte zu handeln, aber immer nach der fundamentalen Bedeutung des Neuen Testamentes, welche die eschatologische Dimension ist. Gott respektiert immer die Tatsache, daß mit Jesus Christus die letzten Zeiten, die eschatologischen Zeiten, angefangen haben. Diese sind bezeichnet durch das Heilsgeschehen, welches mit Ihm begann. In dieser Zeit zwischen der Auferstehung und der Wiederkunft Christi kann Gott die Offenbahrung nicht im Sinne eines 'neuen Bundes' ausweiten, wie es im Alten Testament der Fall war. Er kann nur dieses letzte Eingreifen am Ende der Zeiten vollenden, durch welches er das schon begonnene Heil der Welt in seine ganze Fülle hineinführt. In der Zwischenzeit kann er auf unterschiedliche Art und Weise auf die Realisierung diese Heils im gegenwärtigen Moment der Geschichte Einfluss nehmen. Eine dieser Möglichkeiten ist, sich durch Bild oder Wort mitzuteilen. Diejenigen, die dieses verneinen, würden die Freiheit Gottes in Frage stellen und die Besonderheit der christlichen Religion als Offenbarung. Deshalb muss das Wesen der 'nachchristlichen' Erscheinungen und Privatoffenbarungen immer mit dieser eschatologischen Realität des Heils übereinstimmen.(8)
³Die Kirche ist immer vorsichtig gegenüber diesen Phänomenen gewesen, indem sie sich an die neutestamentliche Ermahnung der Unterscheidung der Geister gehalten hat (1.Kor.12.10; 1.Joh.4.1; 1.Petr.5.8). In der Definition wurde bereits gesagt, daß all diese Phänomene in ihrer Intention mit dem Heil der Welt verbunden sind. Das erste Kriterium der Unterscheidung ist dort miteinbegriffen. Sind sie abgestimmt mit den normalen Wegen des Heils oder nicht? Weisen sie auf sie hin, oder verdrehen sie sie? Es ist nicht schwer zu beurteilen, ob diese Phänomene von einer gesunden Christusverehrung ablenken indem Maria in die Mitte der Verehrung, sozusagen als Konkurenz zu Ihm, gestellt wird. Und weiter, ob die Gläubigen zu einem wahrhaften Hören auf das Wort Gottes und einem sakramentalen Leben geführt werden. Es ist eine bekannte Tatsache, daß es vor dem Konzil Übertreibungen in der Mariologie und der Marienverehrung gab (9). Das folgende Kriterium bezieht sich auf die Seher und ihre Erfahrung der Vision. Wir müssen uns daran erinnern, daß gewisse Epochen diese Ereignisse favorisiert haben, wie in Zeiten der weltweiten Angst oder in religiösen Krisenzeiten. Deshalb ist eine Aufgabe der Theologie, über diese Phänomene zu wachen, um sie zu begleiten und um zu sehen, ob sie ein "Echo der Leere sind, in dem sich der Mensch selbst hört, oder eine Antwort, in der er Gott hört."(10). Man muß auch zwischen den wahren Visionen und der intuitiven Erkenntnis oder der intellektuellen Erleuchtung unterscheiden, die durch das Gebet oder die Betrachtung erreicht werden. Man muß sagen, daß ein vorsichtiger Abstand hinsichtlich dieser Phänomene nicht zu verachten ist, sondern im Gegenteil einer der besten Dienste ist, der ihr geleistet werden kann.
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