von Pater Josip Marcelic mit einer biblischen und historischen Übersicht.
Wenn ich über dieses Thema nachdenke, kommt mir folgende Stelle des heiligen Johannes in den Sinn: "Was von Anfang an war, was wir gehört und mit unseren Augen gesehen haben, was wir betrachtet und was unsere Hände betastet haben, vom Wort des Lebens - und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns erschienen ist - was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit ihr Gemeinschaft habt mit uns....(1.Joh.1,1-3).
Johannes spricht deutlich von einer Vision, er ist einer der "Seher" Gottes. Seine Worte bezeichnen die wichtigsten Charakterzüge eines Sehers:
a) sehen - hören, bedeutet: empfangen;
b) das Handeln Gottes in Christus und in der Heilsgeschichte erkennen;
c) Zeugnis geben bedeutet: weitergeben, was man empfangen hat;
d) einführen in das Geheimnis Christi, die Person und die Gemeinde aufbauen.
a) Von Gott empfangen kann sich auf verschiedenen Ebenen verwirklichen:
- auf dem natürlichen Niveau die Botschaften Gottes zu empfangen (natürliche Offenbarung)
- durch normalen übernatürlichen Empfang der Gaben Gottes auf der Ebene der theologischen Tugenden (durch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe)
- durch außerordentlichen übernatürlichen Empfang der Offenbarung Gottes im mystischen Leben;
- durch außergewöhnlichen übernatürlichen Empfang der Offenbarungen Gottes auf charismatischer Ebene, wenn Gott jemandem etwas offenbart für die Erbauung des Volkes Gottes.
In unserem Fall handelt es sich um die letztere Möglichkeit, da Gott jemandem etwas offenbart, damit es den anderen und der kirchlichen Gemeinschaft zu ihrer Erbauung vermittelt wird. Johannes war in einer besonderen Weise in das Geheimnis Christi eingetaucht, und sah, was seine Zeitgenossen nicht wahrnahmen.
(Vielleicht ist es gut, hier an die Debatte der Theologen zu erinnern, die gerechtfertigt und gut begründet ist und den Unterschied zwischen Vision und Erscheinung deutlich macht. Die Vision kann von einer inneren Betrachtung herrühren, von Gott gegeben sein, und das ist dann die Vision im eigentlichen Sinne. Oder sie kann von Aussen kommen, das ist dann die Erscheinung, d.h. die Vision im weiteren Sinn. Für unseren Fall betrachte ich dies nicht als etwas, was unser Thema im Wesentlichen berührt, und deshalb halte ich mich nicht dabei auf).
b) Man muss auf die Heilswirkung in uns, in der Kirche, in der Welt und in der Heilsgeschichte aufmerksam machen und sie empfangen: Johannes verweist deutlich auf Jesus Christus!
c) Das Zeugnis oder die Überlieferung von dem, was empfangen worden ist, realisiert sich in unserem Fall durch das Zeugnis der Johannesworte, aber kann auch auf verschiedene Weisen realisiert werden. Wir werden später darauf zurückkommen.
d) Das Zeugnis von Johannes dient dem Ziel, zum Glauben anzuregen und in die Geheimnisse Christi einzuführen. Am Ende des Johannesevangeliums wird dies deutlich: "Dies aber ist aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist und dass ihr im Glauben durch Seinen Namen das Leben habt..."(Joh.20.31).
Am Beispiel von Johannes können wir die wesentlichen Elemente der Rolle der Seher hervorheben. Diese Rolle kann in ihrer biblischen und kirchlichen Entwicklung untersucht werden. Wir stellen ihre Komplexität und ihre Bedeutung fest, welche in der menschlichen Psyche, in der Gesellschaft und auch im historischen Eingreifen Gottes verwoben sind. Nehmen wir diese zwei Elemente, um durch sie die aktuelle Situation zu erhellen
Das Alte Testament liefert uns zahlreiche Beispiele für die Überlegungen über die Rolle der Propheten, angefangen bei Abraham, Moses, Samuel und zahlreiche Propheten.
Das Beispiel von Moses bietet sich besondes an und ist sehr reich, um die Elemente dieser Rolle aufzuzeigen: Er begegnet Gott im brennenden Dornbusch;
Bei den Propheten sei Jeremias genannt, dessen bewegte und schmerzvolle Geschichte im Bericht seiner Berufung und in seinen Bekenntnissen, durch seine bitteren Erfahrungen und seine Zerrissenheit im Dienst an der Botschaft Gottes beschrieben wird (Jer.1.4-19 die Berufung des Jeremia; Jer.20.7-18 die Bekenntnisse des Jeremia).
Wie Moses so werden auch die Propheten:
Jesus ist der Archetyp und die Quelle der Vermittlung zwischen Gott und dem Menschen. Er ist der einzige Mittler, aber für unseren Fall ist dies nicht so wichtig, sein Beispiel näher zu betrachten. Er unterscheidet sich wesentlich von den anderen Vermittlern des Alten und des Neuen Testamentes: Er schaut den Vater von Angesicht zu Angesicht und läßt uns dies entdecken. Er ist das Licht der Welt, alle anderen Vermittler sind nur sein Abglanz. Er ist das Wort des Vaters, alle anderen sind nur seine Stimme oder sein Echo, wie z.B. Johannes der Täufer.
Es gibt also einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Jesus und den anderen Sehern: Er ist die Quelle des Lichts, die anderen sind nur Widerspiegelung; er ist das Wort, die anderen die Stimme, der Lautsprecher. Deshalb werden wir genauer die anderen Personen des Neuen Testamentes anschauen:
Ihre Rolle als "Seher" ist sehr einfach und in einer großen Erhabenheit: einfach, wie die Rolle einer Mutter, die ein Kind empfängt, ihm dient, es trägt, es ernährt und erzieht und, wenn es erwachsen geworden ist, es den anderen schenkt! Ich denke, dass das Beispiel Mariens sehr wichtig ist, weil sie in der Geschichte der Kirche sehr häufig Sehern erscheint:
Betrachten wir auch die Offenbarung des Johannes, in welcher durch die Visionen der Zustand der 7 Gemeinden in Vorderasien offenbart wird (Apk.1-3) und auch der Endkampf, der sich zwischen Gott und dem Satan abspielt (Apk.4-20). Wir finden darin die fundamentalen Charakteristika:
Wir können diesen kurzen Überblick über die Rolle der Propheten-Seher in der Bibel mit den Worten des heiligen Paulus abschließen: "Jede Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mann Gottes vollkommen sei, ausgestattet zu jedem guten Werk." (2.Tim.3.16-17).
Die Rolle der heiligen Schrift und derjenigen, die sie übermitteln, ist klar unterstrichen:
Die Botschaft Gottes, und dadurch auch die Rolle der Seher, stehen im Dienst des Lebens:
Die Heilsökonomie im Alten und Neuen Testament brauchte Botschafter Gottes: Engel, Propheten, Seher und Apostel. Man kann erwarten, dass der Herr auch in der Geschichte der Kirche so handelt.
Man sieht, dass in jeder Epoche Gott durch Seher spricht, um seinen Willen zu offenbaren. In der jüngeren Geschichte seien die Seherin Marguerite-Marie Alacoque von Paray-le-Monial, Bernadette von Lourdes, wie auch die Kinder von Fatima, Lucia, Francesco und Jacinta erwähnt, die die Kirche als authentisch anerkannt hat.
Am Beispiel der heiligen Marguerite-Maria sehen wir, dass der Herr dazu aufruft, das Geheimnis der Liebe seines göttlichen Herzens zu leben. Die Offenbarungen, die sie übermittelt, wurden nicht sofort angenommen und sind auf Widerstand von Seiten der Kirche gestoßen. Erst später hat die Kirche die wesentlichen Teile dieser Botschaften akzeptiert und hat, von der biblischen Offenbarung ausgehend, die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu empfohlen (PiusXII, Haurietis aquas de fontibus Salvatoris: Ihr werdet an Quellen des Heiles schöpfen). Man erkennt hier gut, dass die Seher nichts zu der bereits gegebenen Heilsoffenbarung hinzufügen, sondern auf bereits bekannte Offenbarungen hinweisen, an sie erinnern, damit sie für die Christen ein Ansporn zu einem noch tieferen christlichen Leben seien!
Bei Bernadette und den Sehern von Fatima bemerken wir Folgendes:
Unser Thema ist die Rolle der Seher, und so heben wir folgende Aspekte hervor:
Ein philosophisches Prinzip lautet: Was immer empfangen wird, wird in Übereinstimmung mit der Art und Weise des Empfängers aufgenommen.
Dies erklärt deutlich, dass Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen, unterschiedlich die Botschaften empfangen, je nach Kultur und Epoche (Der Herr gibt dieselbe Botschaft anders an einen Afrikaner als an einen Europäer, im Mittelalter anders als in unserer Zeit). Gott wählt die Sprache, die der Empfänger verstehen kann: ein Kind, ein Erwachsener, ein Jude, ein Christ, ein Europäer, ein Afrikaner. Ein Mensch, der die Welt und die Wissenschaft des Mittelalters kennt, ein Mensch unserer Zeit, der den modernen Blick auf die Welt und die Geschichte kennt. Es reicht, dies erwähnt zu haben.
Die Analyse der Botschaften, die durch die Seher in Lourdes, Fatima und anderswo (in der Geschichte der Kirche ) empfangen worden sind, zeigt:
Da wir die heilige Marguerite-Marie und die Hirten von Fatima als Beispiel genommen haben, erwähnen wir auch, dass bei der ersteren die Liebe Gottes im göttlichen Herzen Jesu offenbart wird; in Fatima wird uns die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens offenbart. Es ist interessant, den Zusammenhang zu sehen: die Liebe Gottes offenbart und bietet sich uns unter der Gestalt der Herzen Jesu und Mariens an, die wir fassen können! Diese zwei Verehrungen erneuern unsere Herzen und unser ganzes christliches Leben.
Hinsichtlich der Botschaften, die sie übermitteln, könnte man von den Sehern folgendes sagen: - sie sind ein Echo, welches die Botschaft der Bibel widerhallen lässt;
(Dies sind Themen, die wir nur erwähnen, und welche einer besonderen Vertiefung bedürften, einer Analyse und einer Arbeit in Verbindung mit den vom Seher übermittelten Botschaften!)
(Es ist hier weder der Ort, noch der Augenblick, um den Inhalt der Botschaften näher zu betrachten, was andererseits jedoch sehr wichtig und notwendig wäre!)
Beschreiben wir die Rolle der Seher mit einem Bild metaphorisch:
Dies ist eine besonders delikate Frage und es ist notwendig, etwas dazu zu sagen. Es handelt sich hier um die Beziehung zwischen dem Charisma und der Institution der Kirche. Das II.Vatikanische Konzil hat von der Beziehung der charismatischen Gaben und der Hierarchie gesprochen und bekräftigt, dass es notwendig ist, den normalen und außergewöhnlichen Charismen des Heiligen Geistes gegenüber offen zu sein. Ebenso sind die Hirten der Kirche dazu aufgefordert, diese Gaben nicht zu verwerfen, sondern sie zu unterscheiden, das Gute anzunehmen und das nicht Autentische zu verwerfen (L.G.12).
Die Frage nach der Autentizität der Charismen und derjenigen, die diese Charismen besitzen, in unserem Fall, die Seher, stellt sich also auf verschiedenen Ebenen. Nennen wir die wichtigsten Unterscheidungskriterien für die Autentizität.
Erinnern wir uns daran, dass die Frage nach der Authentizität der Seher oder Propheten im Alten wie auch im Neuen Testament gestellt wird. Es gab Propheten und Apostel, die nicht von Gott berufen waren: Moses ruft zur Vorsicht auf, Jesus spricht von falschen Propheten und Paulus warnt an vielen Stellen vor falschen Aposteln.
Man muss sich also an gewisse Kriterien halten, um wahre Propheten, Apostel und Seher zu erkennen. Man muss sie ernsthaft in Betracht ziehen. Nennen wir einige Kriterien im Zusammenhang mit der Rolle der Seher: der Seher soll Gott verkünden und seine Heilspläne, wenn er das Gegenteil tut, d.h. wenn er nicht die Pläne Gottes, sondern seine eigenen verkündet, so ist er kein echter Seher:
Ich nenne hier nur die Kriterien, die ich aus dem Buch "Neue Begegnung mit Gott" von Heribert Mühlen (Jelsa1994, pp205-207, 314-319) entnehme:
All diese Aspekte der Geschichte des Alten und des Neuen Testamentes wie auch der Kirchengeschichte müssen ganz konkret auf die Seher von Medjugorje angewandt werden. Man muß mehrere Dinge in Betracht ziehen:
Wir haben hier nur eine Übersicht gegeben. Es handelt sich um ein Thema, welches einer langen und ausführlichen Vertiefung bedarf.
Die Rolle der Seher in der Heilsoffenbarung wie auch in der Privatoffenbarung ist die des Mittlers.
Dies ist unserer individuellen und gemeinschaftlichen Struktur, wie auch unserer historischen Umgebung und der Dynamik der menschlichen Rasse angepasst.
Ihre persönliche Rolle ist ganz und gar der Rolle des Mittlers untergeordnet - welche immer still, diskret und verborgen ist, wie, um einen Vergleich zu benutzen, die Aufgabe des Mikrophons und des Lautsprechers in der Übertragung des Wortes. Je weniger sich das Mikrophon und der Verstärker bemerkbar machen, desto besser erfüllen sie ihre Aufgabe. Je mehr sie sich aufdrängen oder die Stimme verformen, desto geringer ist ihre Qualität.
Der Archetyp der geschöpflichen Mittler ist die Jungfrau Maria. Sie übermittelt in Stille die FLEISCHGEWORDENE BOTSCHAFT - DAS WORT: Maria verschwindet in seinem Schatten und kommt erst wieder auf Golgotha zum Vorschein. Es deutet darauf hin, daß Maria in der Geschichte immer in Krisenzeiten erscheint. Wiederum neben Jesus und ihn tragend, oft verwundet und gekreuzigt, in uns Menschen und in unseren Herzen, damit er in uns aufersteht, weil Jesus ihr auf dem Kreuz uns als ihre Kinder anvertraut hat, und er hat uns Maria zur Mutter gegeben! So nehmen die Seher Mariens an unseren "Kanaans" und unseren "Kreuzwegen" teil, indem sie die Worte hören und wiederholen, die der Herr in ihre Herzen legt: "Alles, was er euch sagt, das tut" (Joh.2.5).
Pater Josip Marcelic, Franziskaner des Dritten Ordens, geboren 1929 in Preko, Zadar. Priesterweihe 1953 in Split. Er wurde zum Magister der Philosophie promoviert und doktorierte in Theologie an der Lateranischen Universität in Rom. Seit 1971/1972 hält er Vorlesungen an der theologischen Fakultät in Split in den Gebieten Dogmatik und einiger biblischen Disziplinen. Mehrere Male hielt er an der selben Fakultät das Rektor- und Prorektoramt inne. Er ist Mitbegründer und Mitherausgeber des Zyklus "Duh i voda" der Bibliothek "Obnove u Duhu" (jelsa 1984 und später), in dessen Reihe er mehrere Bücher übersetzte und herausgab.
www.medjugorje.hr