Zum Hauptinhalt springen

Lass Gott in Deinem Herzen ankommen

Gedanken zur geistlichen Dimension von Weihnachten.

Zu Weihnachten feiern wir die Menschwerdung Gottes. Um genauer zu sein: die Menschwerdung Gottes wird „sichtbar“, denn sie erfolgt ja bereits 9 Monate vor dem Geburtsfest Christi. Das Fest  der  Verkündigung des Herrn an Maria am 25. März wird in der Kirche aber in Stille gefeiert, so wie der erste Augenblick eines menschlichen Lebens immer verborgen ist. Zu Weihnachten wird Christus geboren und damit wird öffentlich sichtbar, dass Gott „zur Welt gekommen“ ist.

In dieser Menschwerdung treffen sich zwei Bewegungen: Die eine Bewegung geht von Gott, die andere geht vom Menschen aus. Die erste Bewegung ist die Bewegung Gottes auf den Menschen zu, diese ist die Entscheidende, denn sie gibt dem Christentum ein einzigartiges Gepräge: Nicht wir endlichen Menschen müssen den unendlichen Gott suchen und finden, sondern Er sucht uns und kommt bei uns an. Er ist der „Gott mit uns“, der „Immanuel“. Schon seit der Selbstoffenbarung Gottes im Alten Testament wissen wir, dass Gott etwas mit dem Menschen zu tun haben möchte. Gott hatte sich ja seit Abraham uns Menschen geoffenbart und war sogar einen Bund mit dem Volk Israel eingegangen.

Und das Wort ist Fleisch geworden ...
Mit der Menschwerdung Gottes beginnt das Neue Testament. Das Wort „Testament“ ist die lateinische Übersetzung des hebräischen „Berit“, das heißt Bund. Gott übersteigert den Bund, den Er schon mit Abraham und Mose geschlossen hatte zu etwas Neuem und Größeren: Gott selbst tritt auf die Seite des Menschen, Er wird Mensch. Genauer gesagt: Der Sohn Gottes, die zweite göttliche Person, das ewige Wort des ewigen Vaters wird ein Mensch. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ (Joh 1,14) Der jüdische Monotheismus konnte gerade einmal erahnen, aber auf keinen Fall denken: Dass Gott selbst Mensch werden kann. Der islamische Monotheismus lehnt es auch heftig ab: Denn die Menschwerdung Gottes ist ja nur dann möglich, wenn Gott selbst in sich „differenziert“ ist. Es kann ja nicht sein, dass Gott insgesamt, also das ganze göttliche Wesen Mensch wird. „Menschwerdung Gottes“ besagt ja genau genommen nur die „Menschwerdung des Sohnes Gottes“, also der 2. göttlichen Person. Der Vater und der Geist sind definitiv nicht Mensch geworden! Diese Menschwerdung des Sohnes Gottes ist also nur möglich, weil Gott in sich selbst von Ewigkeit her dreifaltig ist: Ein Gott, der zugleich dreifach Person ist. Gott ist ein einziger Liebender, der diese Liebe dreifach lebt: als Vater, als Sohn und als Heiliger Geist: Der Vater ist die zeugende Liebe, der Sohn ist die ausgezeugte Liebe, der Heilige Geist ist die Einheit der beiden. Der Sohn kann deshalb Mensch werden, weil Er auch als ewige göttliche Person der ist, der sich vom Vater verfügen lässt, der sich dem Vater hingibt. Der Heilige Geist ist diese Hingabe in Gestalt einer neuen Person. Deshalb ist es auch der Heilige Geist, also die Einheit von Vater und Sohn, die die Menschwerdung wirkt. „Und sie, Maria, empfi ng vom Heiligen Geist!“ In und durch Jesus trägt der Heilige Geist die innergöttliche Liebe von Vater und Sohn, die Er selbst ist, in das Außergöttliche, in unsere Welt. Gottes dreifaltige Liebe gießt sich aus bis in unsere Endlichkeit, denn Gott will ja die Enge unserer Herzen  ausdehnen. Unfasslich ist diese Liebe Gottes: Gott gibt sich aus Liebe uns Menschen hin.

Mit der Geburt Jesu beginnt eine völlig  neue Dimension des Seins
Wir müssen heute das Geheimnis der Dreifaltigkeit, das hinter der Menschwerdung und damit hinter dem Weihnachtsfest steht, ief bedenken und verinnerlichen. Schon deshalb, weil der Islam es heftig ablehnt und uns Vielgötterei vorwirft. Es gibt dazu einige ausdrückliche heftige Stellen im Koran. Im Islam gibt Gott zwar Sein Wort, in Gestalt des Buches des Koran, durch den Propheten Mohammed an die Menschen weiter, aber Er kommt selbst nicht zu den Menschen. Das Besondere des Christentums ist, dass Gottes Sohn selbst auf unsere Seite tritt: Der unendliche Gott kommt in der Gestalt eines endlichen Menschen, der Höchste in Gestalt des Kleinsten, der Zeitlose  wird  ein  Mensch mitten in der Zeit. Darum rechnen wir ja unsere Zeit ab der Geburt Christi, weil damit eine völlig neue Dimension des Seins beginnt. Gottes Sohn, das ewige Wort, wird also ein Mensch. Die ewige Liebe erscheint in Gestalt des Jesus von Nazareth. Der Sohn Gottes wird Sein innergöttliches Sein der liebenden Hingabe ausdrücken, indem Er sich am Kreuz hingibt: „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ (Joh 15,13) Die Initiative zur Hingabe aus Liebe liegt also bei Gott und drückt Gottes Haltung zum Menschen in die Welt hinein aus. Die Bewegung Gottes auf uns Menschen zu liegt allem religiösen Tun der Christen immer voraus und zugrunde.

Wie soll das geschehen?
Dieser Bewegung der göttlichen Liebeshingabe muss aber eine zweite entsprechen. Das Wort Gottes braucht einen Resonanzraum, indem es ertönen und widerhallen kann. Das Wort erwartet eine Antwort. Und dieser Ort der Entsprechung ist das unbefleckte Herz der Gottesmutter Maria. Sie lässt die Botschaft des Engels, der einen dreifaltigen Gott ankündigt, der in dieser Welt präsent werden möchte, in ihrem Herzen aufklingen. Freilich: Maria tut es nicht blind, nicht dumm, nicht abergläubisch. Sie fragt den Engel sogar höchst vernünftig (aber bescheiden) zurück: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?!“ (Lk 1,34) Der Engel erklärt es Maria mit der liebenden Allmacht Gottes. Und dann lässt Maria die Antwort des Menschen auf das Wort Gottes ertönen,  die da lautet: „Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Wort.“ (Lk 1,38) Die Kirche ehrt und liebt Maria mit recht, denn Gott hat Sein Heilswirken von dieser ihrer Bereitschaft abhängig gemacht: Er wollte uns nie überspielen, überrumpeln und niederzwingen, sondern Er wollte von der Schöpfung weg unsere freie Mitarbeit und unsere freie Liebesantwort. Und Maria hat sie gegeben. Darum hat Elisabeth recht, wenn sie feststellt, dass Maria „gebenedeit ist unter den Frauen“, dass Maria „selig ist aufgrund ihres Glaubens, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“ (Lk 1,42-45) Es ist sehr von Bedeutung, dass im Rahmen dieser Ankündigung der Menschwerdung an Maria, der Engel das erste Mal in der Heilsgeschichte die ewige Dreifaltigkeit Gottes als Argument angibt: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten  (=Vater) wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.“ (Lk 1,35) Dieser Einblick in das eine Wesen Gottes, der zugleich in sich dreifaltig ist, ist notwendig, denn nur so begreifen wir die Dimension dessen, was hier geschieht: Der Heilige Geist ist „in Gott“ die personale Beziehung des liebenden Vaters zum Sohn bzw. des liebenden Sohnes zum Vater. Er ist, wie Joseph Ratzinger es formuliert hat, das „Wir“ in Gott. Indem Maria den Willen Gottes annimmt, schließt sie sich mit Ihm zusammen, gibt sie dem Heiligen Geist die Möglichkeit, eins mit ihr zu werden: „Und sie empfing vom Heiligen Geist!“

Gott liebt ohne Anfang und ohne Ende
Weihnachten ist das Fest der Menschwerdung des Sohnes Gottes – und damit auch das Fest der Mutterschaft Mariens. Natürlich geht es zu Weihnachten primär um das Kind in der Krippe, die Mutter kniet dezent auf der Seite beim heiligen Josef, neben Ochs und Esel. Darum feiert die Liturgie der Kirche diese einzigartige Gottes-Mutterschaft noch ausdrücklich in einem eigenen Fest, nämlich am Oktavtag nach der Geburt Christi: Der 8. Tag nach Weihnachten ist der 1. Jänner, Neujahr! Jedes neue Jahr beginnt bei uns Katholiken mit dem Fest der „Theotokos“, der Gottesgebärerin, – auch wenn das leider wegen der Silvesterfeierlichkeiten und des Neujahrsrummels von den Gläubigen oft kaum bemerkt wird. Maria hat sich für den Heiligen Geist geöffnet und darum konnte sie für das Heil der Welt fruchtbar werden: Sie hat Gott in sich wirken lassen mit der reinen Bereitschaft schlechthin. Sie nennt sich „Magd des Herrn“. Der heilige Ludwig Maria Grignion de Montfort hat im  17. Jahrhundert einen wunderbaren Gedanken entwickelt: In der Ewigkeit Gottes bringt der Vater den Sohn hervor, der Sohn bringt gemeinsam mit dem Vater den Geist hervor. Und wen bringt der Geist hervor? Ist der Prozess der göttlichen Liebe mit dem Heiligen  Geist  „abgeschlossen“? Nein, denn Gott liebt ohne Maßen, ohne Anfang und ohne Ende, ohne Stagnation und Stillstand. Die Liebe lässt ihn gleichsam überfließen. Grignion sagt: Der Heilige Geist bringt gemeinsam mit den Gläubigen im Außerhalb Gottes die „Geheiligten“ hervor. Er liest dies an der Menschwerdung ab: Denn Gottes Geist bringt zwar in Gott keine Person hervor, sehr wohl aber bringt er in Maria die zweite göttliche  Person „zur Welt“: „Und sie empfi ng vom Heiligen Geist!“ Was lernen wir daraus? Maria ist zwar auf einzigartige Weise Mutter des Sohnes Gottes, Mutter Christi. Aber auch wir sind berufen, „Christus zur Welt zu bringen“. Dies geschieht, indem wir uns für Gottes Heiligen Geist öffnen. Bitte beachten wir, dass sich in den Sakramenten, im Gebet, in der Liebeshingabe wirklich das heilige göttliche  Leben bis  in  unsere  Seele  hinein ausdehnt. Wir sind ja seit der Taufe ein „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,9), „Christus lebt in uns“ (Gal 2,20) Je mehr unsere Seele zum Ort wird, wo der Heilige Geist sich in dieser Welt konkretisieren kann, desto mehr werden wir die eigentlichste Eigenschaft dieses Geistes darstellen, nämlich „heilig“ zu sein. Man kann es auch so ausdrücken, dass wir heilig werden. Anders gesagt: Dass sich dann die Menschwerdung Christi in uns selbst abspiegelt, dass wir durch Gottes Geist immer mehr verwandelt werden, dass wir zum „Vollalter Christi“ (Eph 4,13), des Heiligen Gottes, heranreifen. Weihnachten ist daher für uns Glaubende die Einladung, zum marianischen Ort der Vergegenwärtigung Gottes in dieser Welt zu werden.

Werden wir Mitarbeiter der Freude!
Aber Achtung! Das ganze Innewerden Gottes ist kein Privatvergnügen, denn der Heilige Geist ist immer die innergöttliche Dynamik des Je-Mehr. Der Heilige Geist, der Christus in uns zur Welt bringt, ist kein Schläfer-Geist, sondern er ist Schöpfer-Geist. Die selige Mutter Teresa von Kalkutta hat immer wieder darauf aufmerksam gemacht, so auch bei ihrem Besuch bei uns im Stift Heiligenkreuz am 15. März 1988, dass Maria im selben Augenblick, wo sie Jesus in der Kammer von Nazareth durch
den Heiligen Geist in ihrem Leib empfängt, sich auf den Weg macht. Das Erste und Selbstverständliche, das Maria tut, sobald Gottes Geist in ihr gelandet ist und das kleine Jesuskind in ihr zu wachsen beginn, ist, dass sie sich auf den Weg macht und in das Bergland von Judäa eilt. Sie möchte ihrer Verwandten Elisabeth helfen, von der sie ja eben durch den Engel erfahren  hat, dass sie im 6. Monat schwanger ist. Und sie hilft Elisabeth vor allem dadurch, dass sie ihr – und dem kleinen ungeborenen Johannes in ihrem Leib – Jesus bringt. Die Frucht dieses Besuches ist Jubel, Freude, Magnificat und das frohe Hüpfen des ungeborenen Täufers Johannes (Lk 1,41). Wenn wir Gottes Liebesbewegung in uns ankommen lassen, wenn wir Christus in uns Wachsen lassen, wenn wir heilig werden wollen, dann werden wir automatisch apostolisch  werden. Dann werden wir Jesus in die Welt tragen und vielen Menschen  den  Freudensprung des Glaubens ermöglichen. Als Christus geboren wurde, verkündete der Engel über den Hirtenfeldern von Bethlehem die weltweite Freude: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude ... Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; Er ist der Messias, der Herr.“ (Lk 2,10f.) Gott in sich ankommen und Mensch werden lassen bedeutet vor allem: Mitarbeiter der Ausbreitung dieser Freude zu werden.

Von Pater Karl Wallner, Hochschule Heiligenkreuz.

Quelle: Zeitschrift "medjugorje aktuell", 2013.